Äußerst gewitzt erzählt Anne Weber von einem modernen Taugenichts
Jemand, der bevorzugt auf seinen Händen in der Öffentlichkeit herumspaziert, seine Miete mit Muscheln bezahlen will und sich liebend gern mit Schwalben, Akazien oder Briefkästen unterhält – so jemand darf sich nicht wundern, wenn man ihn als schrägen Vogel bezeichnet. Genau solch ein schräger Vogel ist Kirio, der äußerst eigentümliche Held in Anne Webers gleichnamigen Roman, der in diesem Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Den Preis hat zwar wer anders bekommen, aber Kirio würde das ganz sicher nicht kratzen, denn Auszeichnungen sind ihm vermutlich so schnuppe wie Geld, Karriere oder Schulterklopfer des Präsidenten höchstpersönlich. Als das Staatsoberhaupt ihm die Schulter tätschelt, ist Kirio allerdings auch just mit Tischfußball beschäftigt, hat also Besseres zu tun – auch wenn er sich zu jenem Zeitpunkt gerade in der Psychiatrie aufhält. Freilich ist der Aufenthalt bloß temporär, denn so einen Wuselkopf, den hält es nirgends lange. Mal lebt er in der freien Natur in einer Höhle, mal in einer Achtquadratmeter-Dachgeschosskammer in der Stadt und dann eben eine Weile in einer staatlichen Einrichtung.
So richtig zu fassen ist Anne Webers Protagonist sowieso nicht, genauso wenig wie der Erzähler ihres Romans. Die deutsch-französische Autorin und Übersetzerin, die seit 1983 in Paris lebt, hat sich nicht nur einen Jux mit ihrer Hauptfigur erlaubt, sondern treibt ein munteres Rätselraten darum, wer hier eigentlich aus dem Leben dieses modernen Taugenichts berichtet. Dementsprechend dürften all jene, die Freude an Rätseln haben und eine Vorliebe für schrullige Charaktere besitzen, bei Kirio gut aufgehoben sein. Vor allem da die 52-jährige Autorin ihre beiden Hauptzutaten zu einer locker-flockigen Melange verrührt und mit einigen Prisen Sprachwitz gewürzt hat.
Anne Weber: Kirio. S. Fischer, Frankfurt am Main. 224 Seiten, 20,00 €.
Kirio liegt schon eine Weile auf meinem Nachttisch, jetzt habe ich richtig Lust bekommen, ihn gleich zu lesen… ❤
Danke für die Rezi und die Erinnerung an ein gutes Buch!
VG Jennifer
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Gerne – danke für die Rückmeldung und viel Spaß beim Lesen.
Beste Grüße, Jens.
PS: Anne Webers „Ahnen“ ist ebenso lesenswert – allerdings ein vollkommen anderes Buch:
https://jenslaloire.wordpress.com/2015/07/10/ein-freund-benjamins/
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Ich bin inzwischen durch und ich muss sagen, ich bin so begeistert gewesen wie erwartbar 😀 Wirklich ein sehr, sehr schöner Roman!
Habe mir jetzt mal Ahnen auf die Wunschliste gesetzt…
VG Jennifer
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Klasse, „Ahnen“ lohnt sich – ist aber eben mehr ein Lang-Essay und kein Roman. Habe selbst noch ein paar andere Bücher von Anne Weber auf der Liste – eine interessante, weil vor allem sehr vielseitige Autorin.
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