Der einstige Rebell der Migrantenliteratur Feridun Zaimoglu präsentiert mit „Der Mietmaler“ nicht nur eine neue Liebesgeschichte, sondern zeigt sich zudem selbst als Maler.
Mit „Kanak Sprak“ krachte Feridun Zaimoglu 1995 in die deutsche Literaturszene. Das furiose Debüt des deutsch-türkischen Schriftstellers erzählt die Geschichten einer jungen Generation türkischstämmiger Deutscher, die nicht nur am Rande der Gesellschaft leben, sondern auch ihren eigenen multi-ethnischen Jargon pflegen. Insbesondere der authentisch widerborstige Sound dieser hybriden Jugendsprache von der Straße war der deutschen Literatur bis dahin unbekannt. Sätze wie folgender sorgten nicht nur bei einigen Rezensenten für Irritationen: „Das ist die niggernummer, kumpel, es gibt die saubere kanakentour und die schmutzige, was auch immer du anstellen magst, den fremdländer kannst du nimmer aus der fresse wischen“. Zaimoglu wurde mit „Kanak Sprak“ und den Nachfolgewerken zum Sprachrohr einer Gruppe, die durch das Raster der Integration gerasselt war und auf einen romantisierenden Multikulturalismus pfiff.
Mit diesen ersten literarischen Werken avancierte der 1964 in der Türkei geborene, jedoch in Deutschland aufgewachsene Zaimoglu zu einer der kraftvollsten Stimmen der sogenannten Migrantenliteratur. Für manchen Feuilletonisten war er vorerst allerdings vor allem eine Art „Ghetto-Rebell“ – ein zwar spannendes, aber literarisch fragwürdiges Phänomen. Das änderte sich mit der Zeit: Zaimoglu wollte nicht ewig der „Ghetto-Kasper“ sein, sondern als Erzähler ernst genommen werden. Dieses Ziel erreichte er spätestens, als er 2003 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb für seine Erzählung „Häute“ mit dem Jurypreis ausgezeichnet wurde. Dieser Text ist in dem Erzählungsband „Zwölf Gramm Glück“ zu finden, der 2004 erschien und eine Wandlung erkennen lässt, die sich in „Leyla“ (2006), „Liebesbrand“ (2008) sowie „Hinterland“ (2009) fortsetzt. In den drei genannten Romanen spielt weiterhin die Herkunft des in Kiel lebenden Autors eine zentrale Rolle; doch Zaimoglu ist im Laufe der Jahre zu einem versierten Erzähler mit einer eigenen poetischen Sprache gereift.
Mit seinem letzten Roman „Ruß“ (2011) hat sich Zaimoglu erstmals ganz von türkischen Motiven gelöst. Stattdessen kommt der Malerei in dieser Ruhrpott-Liebesgeschichte eine Nebenrolle zu. Das ist insofern erwähnenswert, da der Autor selbst malt und in seinem neuen Buch einen Maler in den Mittelpunkt stellt. „Der Mietmaler“ ist die Geschichte Edouards, eines 38-jährigen Künstlers, der die Frauen wie Schaustücke betrachtet und abschätzt, ob sie es wert sind, auf Papier gebannt zu werden. Jede Frau ist ein potenzielles Motiv – auch seine Partnerin Sonja, die dieses Belauertwerden von dem „tintenverspritzenden Tier“ allerdings satt hat. So steht eine Trennung am Anfang dieser Liebesgeschichte. Frisch abserviert schleicht Edouard nach Hause, entdeckt auf seinem Heimweg an einer Bushaltestelle in einer attraktiven Putzfrau jedoch bereits sein nächstes Modell, das ihn zu seiner Leinwand treibt: „Ich stürmte die Treppen hoch zum dritten Stock, schloss auf, ließ die Tasche sofort fallen, griff zum Skizzenblock.“
Zaimoglus Ich-Erzähler ist ein manischer, doch mäßig erfolgreicher Maler. Deshalb nimmt er den gut bezahlten Auftrag einer reichen Witwe an, sie zu porträtieren: „Sie hatte das Geld, ich hatte die Farben – ich willigte ein.“ Die Auftraggeberin entpuppt sich indessen als scharfzüngig resolute Dame, die es gewohnt ist, die Richtung vorzugeben. Sie besteht darauf, anständig gemalt zu werden – kein neumodischer Schnickschnack, kein psychologisierendes Qualgesicht. Für Edouard ist diese Nora Sillinger Herausforderung wie Provokation. Sie reizt ihn mit ihrer herrischen Art und hinterfragt zugleich seine Arbeitsweise, die Frauen in seinen Bildern nicht bloß abzubilden, sondern ihre Psychen auszuloten. Diese Methode des Malers findet Ausdruck in Zaimoglus Erzählweise. Immer wenn Edouard in einer Frau ein mögliches Motiv entdeckt, wird dieser eine kleine Geschichte angedichtet – sodass in den Handlungsstrang der Erzählung abschweifende Prosaminiaturen eingewebt sind. Dadurch entsteht ein facettenreiches Panoptikum farbiger Frauenporträts. Bei einigen dieser Nebengeschichten wechselt Zaimoglu auch die Erzählperspektive, sodass der Leser zwischendurch mit den Augen einer Bürgerlichen einen Blick auf den Protagonisten werfen darf: „Fussel an seinem Rücken, Falten an seiner Hose, Stoff an den Kniekehlen fadenscheinig. Von diesem Mann musste man sich fernhalten.“
Edouard ist eine nachlässig gepflegte, leicht zweifelhafte Künstlerexistenz mit „Stiftschwiele am Mittelfinger, Graphitstaub unter den Nägeln“. Dennoch scheint Nora Sillinger Gefallen an diesem Bohemien zu finden, und auch die Gefühle des gemieteten Malers gegenüber seiner zwar älteren, doch immer noch attraktiven Auftraggeberin sind ambivalent. Das Tableau für eine Liebesgeschichte ist somit angerichtet. Ob die beiden zueinanderfinden, soll hier nicht verraten werden.
Zaimoglus „Mietmaler“ ist eine kleine, hübsch arrangierte Erzählung, die vor allem bestimmt ist durch den Duktus knapper Sätze, denen trotz ihrer Kürze poetische Kraft innewohnt. Neben den literarischen Porträts finden sich in dem Buch außerdem 18 farbige Bildtafeln – bis auf eine Ausnahme alles Frauenporträts, die der Maler Zaimoglu zu Papier gebracht hat. Es sind Gesichter mit großen traurigen Augen, kantigen Nasen und in Rottönen glühenden Mündern. Und so hält man mit „Der Mietmaler“ ein fein gestaltetes Büchlein in den Händen, das allerdings in keiner Weise an einen „Ghetto-Rebellen“ erinnert. Irgendwann werden wohl auch die Wildesten zahm.
Feridun Zaimoglu: Der Mietmaler. Eine Liebesgeschichte. Mit 18 farbigen Bildtafeln. Langen Müller Verlag, München 2013. 136 Seiten, 19.99 €.