Monatsarchiv: Mai 2021

The Holy Bob in der Stadthalle

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Heute wird er 80, Bob Dylan – Singer-Songwriter, Literaturnobelpreisträger, Ikone, Mythos und vieles mehr. Einmal durfte ich ihn live erleben: Am 14. Juni 1998 in der Stadthalle Bremen. Das ist lange her, aber Bob Dylan spielt immer noch auf seiner „Never Ending Tour“. Und wie sich so ein Konzerterlebnis anfühlen kann für einen jungen Fan, beschreibe ich in der folgenden Miniatur.*   


Gerade hat er sein linkes Bein bewegt. Das fiel sofort auf im gleißenden Licht. Dort steht er ganz allein, dort oben im Spotlight auf der Bühne in der Stadthalle. Er allein mit seiner Gitarre und seiner Mundharmonika, so wie man ihn kennt von den Plattencovern und Postern, steht er da in echt und spielt die Lieder, die längst Klassiker sind. Und die Steine rollen und der Wind weht und ein schwerer Regen fällt, doch er steht einfach nur da, spielt auf seiner Gitarre und singt.

So wie vor ein paar Wochen Joe Cocker auf der gleichen Bühne stand und sang und doch alles anders war. Cocker fuchtelte mit seinen Armen herum, begleitet von einer Band, Backgroundsängerinnen, Lichtshow, Videoprojektionen und dem ganzen Tralla. Nicht so Dylan. Der braucht keine Hilfe von irgendwem. Der kriegt’s allein hin. Cocker ist halt nicht Dylan. Niemand ist wie Dylan, manchmal nicht einmal Dylan.

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Wunder von der Weser

Manchmal nur ganz klein im Hintergrund, aber doch irgendwie stets präsent in Bremen: das Weserstadion, das morgen wieder in den Fokus rücken wird, wenn Werder zuhause gegen den Abstieg spielt. Fußball war auf diesem Blog hier bisher kein Thema, was daran liegt, dass Fußball keine besonders große Rolle in meinem Leben spielt – zumindest nicht mehr, denn es gab andere Zeiten, in denen ich (man muss es so sagen) ein fanatischer Werder-Fan war. Werder-Fan bin ich zwar noch immer und ich verfolge auch weiterhin die Spiele von Werder, stehe dem allen inzwischen allerdings deutlich entspannter gegenüber. Es gab jedoch drei, vier Jahre in meinem Leben als Teenager, in denen Werder eine enorme Bedeutung für mich hatte. In der Saison 93/94 war ich sogar Inhaber einer Dauerkarte für die Ostkurve. Es war die Saison nach Werders dritter Meisterschaft und Werders erste Saison in der Champions-League, und es war die Saison, in der sich eines der sogenannten „Wunder von der Weser“ ereignete, das 5:3 gegen den RSC Anderlecht, bei dem ich live im Stadion dabei war. Vor längerer Zeit habe ich dazu einen Text geschrieben, der aber in der Schublade verschwunden ist und den ich nun hervorgekramt und überarbeitet habe, um im Hinblick auf das morgige Spiel wieder eines dieser „Wunder von der Weser“ zu beschwören;)

Für Menschen, die Fußball nicht mögen oder sich kein bisschen dafür interessieren, wird der Text vermutlich befremdlich wirken (wenn sie ihn denn überhaupt lesen). Für mich selbst ist das alles im Rückblick mittlerweile etwas befremdlich, aber mir ging es beim Schreiben darum, noch einmal die Atmosphäre, dieses extreme Gemeinschafts- und Verbundenheitsgefühl sowie die Euphorie nachzuzeichnen, die ich damals als 15-Jähriger empfunden habe. Rein massenpsychologisch betrachtet haben mich Fußballevents wie dieses auch viel gelehrt, natürlich nicht nur im Positiven, weshalb ich inzwischen solchen Ereignissen lieber fernbleibe. Aus der Distanz drücke ich morgen dennoch kräftig die Daumen und hoffe auf ein weiteres „Wunder von der Weser“ …


Wunder von der Weser

Wir singen im Regen. Über unseren Köpfen die Fluchtlichtmasten, deren Strahler das Spielfeld ausleuchten. Das Licht verleiht den Abendspielen eine besondere Atmosphäre. Heute allerdings sehe ich vor allem glitzernde Bindfäden, wenn ich zu einem der Masten hinaufschaue. Schon vor dem Anpfiff hat es geschüttet wie aus Kübeln, unsere Klamotten und Fahnen sind klitschnass. Dabei könnte ich ein Dach über dem Kopf haben, in meiner Hosentasche steckt eine Karte für die Nordgerade, weil die Ostkurve schon Wochen vor dem Spiel ausverkauft war. Aber die echten Werder-Fans, die stehen nicht in der Nordgeraden, die stehen in der Ostkurve. Und in der Ostkurve, da trotzen wir dem Wetter. Wir singen auch im Regen!

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Ins Meer stürzende Männer

Wie ein Adonis steht er barfuß auf der Brüstung, mit braungebranntem, durchtrainiertem Oberkörper und angespannten Muskeln. Seine blutrote Badehose leuchtet in der Mittagssonne. Entschlossen ist er von der Promenade zur Spitze dieses schmalen Balkons geschritten, der wie ein Steg aus der Festungsmauer herausragt, vermutlich als Aussichtsplattform gedacht, damit der Blick ungestört übers Meer hinaus bis nach Kopenhagen schweifen kann. Nur kurz gezögert hat er, bevor er auf das Geländer geklettert ist, an dem Dutzende Liebesschlösser hängen und von dem sich in der letzten halben Stunde bereits mehrere Männer ins Meer gestürzt haben. Leicht wackelig sah es aus, als sich seine Hände vom Metall lösten, er seine Knie durchdrückte und sich aufrichtete. Seitdem steht er da, kerzengerade mit angespannten Muskeln und konzentriertem Blick. Schon eine ganze Weile steht er so da. Schaut hinunter zum Meer, das zehn bis zwölf Meter unter ihm sanfte Wellen schlägt. Einige Passanten sind stehen geblieben auf der Promenade und starren zu ihm rüber. Auch der langhaarige Blonde steht mittlerweile zwischen ihnen, mit nassen Haaren und tropfender Bermudashorts. Vor wenigen Minuten stand er noch dort, wo jetzt der andere steht. Ganz rasch war es bei ihm gegangen. Kaum hatte er auf der Brüstung gestanden, war er auch schon hinuntergesaust – rückwärts mit einem Salto, um dann kopfüber ins Wasser zu tauchen. Der andere hatte ihm dabei zugeschaut und blickt nun in die Tiefe. Zweimal ging bereits ein Zucken durch seinen Körper. Jetzt springt er, dachte ich, doch dann straffte er erneut seinen Körper, drückte den Rücken durch und schaute in die Ferne. Der junge Mann und das Meer, witzelt eine Frau neben mir, die das Schauspiel durch die Kamera ihres Smartphones verfolgt. Die ersten Passanten spazieren weiter, das dauert ihnen zu lange, vor allem wenn man nicht einmal weiß, ob der Typ überhaupt irgendwann springt. Andere scheinen hin- und hergerissen. Wäre doch schade, wenn man den Sprung verpassen würde. Vielleicht gibt’s sogar ein kleines Drama, wer weiß. So ein Sprung ist bei der Höhe ja nicht ohne.

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Eine Reise, die ist lustig, eine Reise, die tut weh

Christian Kracht erzählt in „Eurotrash“ äußerst raffiniert und mit viel Sinn für Komik von einer historisch belasteten Mutter-Sohn-Beziehung und vom Geld

Faserland konnte ich bei meiner Erstlektüre nicht leiden – was für ein unsympathisch arrogant versnobter Icherzähler war das denn! Wie er da in seiner Angeber Barbourjacke affektiert durch die Gegend stolziert, alles und jeden mit seinem blasierten Blick auf Premiumprodukte abscannt und auf neunmalkluge Art niedermacht, aber zugleich sein kaputtes Selbst nur mit Drogen mehr recht als schlecht zusammenzuhalten vermag. Pah, solche Leute konnte ich beim bestem Willen nicht ausstehen.

Mitte zwanzig muss ich da gewesen sein, und offenbar hatte Christian Krachts Debüt einen Nerv bei mir getroffen, verstanden hatte ich es allerdings nicht. Bei der Zweitlektüre, gut zehn Jahre später, fand ich es hingegen großartig. Vielleicht hatte ich es endlich verstanden oder vielleicht lag es auch nur daran, dass ich das Buch dieses Mal während eines zweiwöchigen Stipendiums auf Sylt las, wo Faserland beginnt.

Sylt spielt auch in Krachts aktuellem Roman Eurotrash eine Rolle, obwohl sich die Geschichte, die Kracht darin erzählt, in erster Linie in der Schweiz abspielt. Los geht’s in Zürich, also genau in jener Stadt, in der Faserland endet; und das ist natürlich kein Zufall, denn der Icherzähler von Eurotrash ist ein gewisser Christian Kracht, der von sich aber auch schon mal behauptet, Daniel Kehlmann zu sein, wenn er nicht erkannt werden möchte. Dieser Icherzähler hat vor einem Vierteljahrhundert eine Geschichte geschrieben, die er aus irgendeinem Grund, der ihm nun leider nicht mehr einfalle, Faserland genannt hatte.

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