Monatsarchiv: Mai 2019

Die Zeit zwischen Molenturm & Landmarktower

Molenturm

Sie sitzt im Molenturm, schaut durch eins der kleinen Fenster hinaus. Über der Weser kreisen kreischende Möwen, zanken sich um etwas, das sie nicht erkennen kann. Das ist nun ihr Arbeitsplatz als offizielle Schreiberin der fantastischen Republik Utopistan, die ein Künstlerkollektiv für einen Monat auf der Brache im Europahafen ausgerufen hat. Zwei Wochen lang darf sie schreiben, darf schreiben, was immer sie will – in Utopistan sage einem niemand, was man zu tun oder zu lassen habe, hieß es in der Ausschreibung. An der Kaimauer sitzt ein Angler und raucht eine Zigarette. Am gegenüberliegenden Ufer steigen ein paar Leute vom Anleger auf die Fähre. Sie hatte die Ausschreibung gelesen und gedacht, warum nicht. Zwei Wochen lang im Molenturm sitzen und schreiben. Klang wie ein Traum. Heute ist erst der dritte Tag, die ersten beiden Nächte waren kalt, ihr Rücken schmerzt, der Instantkaffee schmeckt genau so, wie er aussieht. Sie stellt die Tasse auf dem einzigen Stuhl ab, streckt sich, stößt sich den Kopf an der niedrigen Decke, flucht, greift sich einen Kugelschreiber und ihr Notizbuch, in das sie gestern nur ein paar Sätze gekritzelt, die sie später wieder durchgestrichen hat. Sie steckt beides in die linke Manteltasche, öffnet die Tür.

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