Courtoisie
Ohne Fahrrad, aber in voller Montur – mit schwarzem Helm auf dem kahlen Schädel, schwarzer Sonnenbrille und schwarzem Fahrraddress, der sich hauteng um den vielleicht fünfzigjährigen, bereits leicht in die Breite gegangenen Körper spannt – marschiert ein Fahrradfahrer mit dem metallenen Klackern seiner Radschuhe zielstrebig wie ein Soldat über die Promenade Richtung Bodensee – Bicycle-Man in Black, nur der winzige Rucksack leuchtet in der Mittagssonne rot auf seinem Rücken und dient der, ebenfalls in voller Fahrradmontur, mit einigen Metern Abstand hinter ihm herklackernden Frau als Fixpunkt.
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„Immer die gleichen drei Dinge, die mir den Stecker ziehen: die Freundlichkeit der Welt, die Schönheit der Natur, kleine Kinder.“
[Wolfgang Herrndorf, Arbeit & Struktur, S. 94]
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In seiner Novelle „Der Mann, der Verlorenes wiederfindet“ erzählt der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Michael Köhlmeier virtuos vom Leben, Zweifeln & Sterben des Heiligen Antonius von Padua
Ein Heiliger liegt auf der Piazza einer norditalienischen Stadt und stirbt. Genaugenommen erfolgt die Heiligsprechung natürlich erst weit nach dem Tod, aber dass Antonius eines Tages heiliggesprochen werden muss, steht für seine Anhänger außer Frage. Dieser Priester weiß auf so göttliche Weise zu reden wie kein Zweiter – selbst die Fische im Meer lauschen andächtig seinen Predigten, wenn er zu ihnen spricht. Gerade erst hat er mit letzter Kraft eine Rede vor 3000 Menschen gehalten, von denen nun die meisten ausharren, um mitzuerleben, wie Gott seine treues Schäfchen zu sich in den Himmel holt. Worüber Antonius gesprochen hat, darüber scheiden sich die Geister seiner Zuhörer. Stand das Nichts im Mittelpunkt seiner Predigt oder war es der Hass oder doch die Liebe? Jeder scheint das gehört zu haben, was er hören wollte.
„Was, wenn das Leben alles war, was er [Gott] uns zu bieten hatte? Hätten wir das von Anfang an gewusst, wir wären anders damit umgegangen.“
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Das Geniale am Leben ist, dass man zu Anfang nicht den blassesten Schimmer hat, welche Volten es schlägt und wohin es einen führt. Allerlei Wendungen hat das Leben für Frank Mc Girr bereitgehalten. Als er vor 48 Jahren in einem kleinen Nest an der rauen Nord-Atlantik-Küste Irlands das Licht der Welt erblickte, war sicherlich nicht abzusehen, dass er eines Tages in einer norddeutschen Volkshochschule einen „English Film Club“ ins Leben rufen würde.
Inmitten von 20 Teilnehmern steht Mc Girr im Tanztheaterraum der VHS und wirft eine Frage in die Runde. Schnell entspinnen sich innerhalb von Zweierteams Gespräche auf Englisch. Im Laufe der kommenden 90 Minuten werden verschiedene Themen angeschnitten, die alle mit dem Film zusammenhängen, der in der folgenden Woche im Filmclub läuft. Mc Girr horcht in die Gespräche hinein, schaltet sich hier und da ein und führt die Dialoge schließlich in einer großen Runde zusammen. Er hält die Fäden in der Hand, treibt die Diskussionen voran, wählt die Filme aus, schickt den Kursteilnehmern per E-Mail Material zur Vorbereitung. Der Filmclub ist sein Baby.
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„Nicht seine Absicht bestimmte das Geschehen, er brauchte keine Entscheidungen zu treffen. Das erleichterte ihn auf eine Weise. Er war da. Mehr brauchte er nicht zu tun, und er verstand, warum darin das Glück lag. Er war vereint mit seinem Atem, denn schnell hatte er bemerkt, wie wenig hilfreich es war, sich aufzuregen, sich Sorgen zu machen, weiter als an den nächsten Schritt zu denken. All dies hinderte ihn daran, im Moment aufzugehen. Und er sah, was er noch nie gesehen hatte. Die Welt voller Zeichen, die er lesen konnte.“
aus: Lukas Bärfuss: Hagard
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Am Hauptbahnhof steige ich aus der Linie 4 und ströme mit den anderen Fahrgästen im Stechschritt über den Vorplatz Richtung Bahnhofshalle, während von irgendwoher Techno-Mucke mit heftigen Wumms über den Platz schallt; die Musikquelle kann ich nirgends entdecken, also halte ich ein paar Meter vor dem Haupteingang inne, lasse meinen Blick schweifen und entdecke einen Typen, der ganz allein auf dem Rasenstreifen vor dem Überseemuseum steht und sich die Morgensonne ins Gesicht scheinen lässt, während die bierkastengroße Verstärkerbox, die er sich auf seinen Rücken geschnallt hat, den Bahnhofsplatz mit Beats versorgt.
Die Zeit ist etwas, was unser Leben bestimmt und untrennbar mit ihm verknüpft ist, weshalb der Begriff ›Zeit‹ natürlicher Bestandteil unseres Alltags ist. Die abendländische Philosophie setzt sich seit weit über 2000 Jahren mit diesem Begriff intensiv auseinander. Auch für Professor Manfred Stöckler ist die Zeit immer noch ein spannendes Forschungsgebiet. Der studierte Physiker und habilitierte Philosoph arbeitet seit 1991 an der Bremer Universität. Zum Thema Zeit hat er schon mehrere wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. Im Interview mit dem zett-Magazin gewährt er einen Einblick in die Philosophie der Zeit.
zett: Herr Stöckler, Augustinus hat einmal gesagt: ›Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich, was die Zeit ist, aber will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht mehr.‹ Würden Sie dennoch für uns versuchen, die Zeit zu erklären?
Manfred Stöckler: Zeit ist wie Raum eine ganz grundsätzliche Voraussetzung zum Verständnis von Veränderung. Es ist ganz schwer zu definieren, was Zeit ist, aber man kann sagen, welche Funktion sie hat. Da ist Leibniz vielleicht ganz gut: Zeit ist die Ordnung des Nacheinander. Wir stellen einfach fest, dass bestimmte Ereignisse nacheinander kommen. Das ist auch der Bezug von Augustinus: Wir können mit Zeit umgehen, es ist gar nicht notwendig, Zeit zu definieren. Das Wesentliche ist Veränderung und gerade bei Augustinus die Erfahrung, dass wir uns nicht aussuchen können, was vergangen und was zukünftig sein soll.
„Zeit hat einen Doppelaspekt: Einmal ist etwas Objektives da, Bewegung, und wir machen mit unserem Bewusstsein etwas mit dieser Bewegung. Beides zusammen braucht man, um Zeit zu verstehen.“
zett: Ist Zeit überhaupt etwas, was außerhalb des Menschen unabhängig von ihm existiert?
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