Norbert Scheuer gelingt ein unaufgeregter Afghanistanroman
Tiere spielen im Werk des Schriftstellers Norbert Scheuer eine zentrale Rolle. Bachforellen, Hechte, Schleien und viele andere Fische tummeln sich in seinem äußerst lesenswerten Roman „Überm Rauschen“, der 2009 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. In seinem neuen, in diesem Jahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Roman „Die Sprache der Vögel“ sind es hingegen Kiebitze, Kolkraben, Goldammern und über ein Dutzend weiterer Vogelarten, die nicht nur den Text durchziehen, sondern zudem als Kaffeeaquarellzeichnungen im Buch abgebildet sind.
Die Protagonisten in Scheuers Büchern wenden sich von den Menschen ab und den Tieren zu; sie sehnen sich danach, die kantige Realität hinter sich zu lassen und stattdessen eins zu werden mit der Natur. In „Überm Rauschen“ ist es der Fluss, den der Held dem Treiben in seinem Heimatkaff in der Eifel vorzieht. Ein See in Afghanistan ist es hingegen im aktuellen Roman. Der See liegt in der Nähe eines Feldlagers der Bundeswehr. Dort steht Paul Arimond Tag für Tag mit dem vom Vater geerbten Fernglas und beobachtet die Vögel. Das ist natürlich nicht seine Hauptaufgabe, in Afghanistan ist er als Sanitäter der Bundeswehr unterwegs. Der junge Mann hat sich freiwillig für den Einsatz gemeldet, nachdem er in seiner Heimat einen Autounfall verursacht hat, bei dem sein bester Freund schwer verletzt wurde.
In Afghanistan führt Paul nun ein Tagebuch, in dem er zum einen die Monotonie, die regelmäßigen Raketenangriffe sowie seine Außeneinsätze und zum anderen seine Vogelbeobachtungen schildert. Beides steht gleichberechtigt nebeneinander: Der schwarz-weiße Bauch eines Kiebitzes wird in einer ebenso nüchternen Sprache beschrieben wie die Gedärme, die aus dem Bauchraum eines zerfetzten Soldaten quillen.
Scheuer verzichtet bei seiner Geschichte über einen jungen suchenden Mann, der in den fernen Krieg flieht und in der Natur auf Erlösung hofft, auf jegliches Spektakel. Stattdessen schildert er, wie Paul und seine Kameraden im Feldlager aus der Welt gefallen scheinen und von den Gegebenheiten zermürbt werden, während das Leben in der Heimat weitergeht, die Freundin sich in einen anderen Mann verliebt und die eigene Mutter über eine neue Heirat nachdenkt. Diese Gleichzeitigkeit der Ereignisse schildert Scheuer, in dem er geschickt Rückblenden und weitere Ebenen in dieses feine unaufgeregte Werk einwebt.
Norbert Scheuer: Die Sprache der Vögel. C. H. Beck, München. 238 Seiten, 18,95 €.
(Mai 2015)