Nächtlicher Stimmenchor aus der Uckermark

Stanisic

Saša Stanišić erzählt in seinem zweiten Roman „Vor dem Fest“  auf kunstvolle Art die Geschichte eines uckermärkischen Dorfes und seiner Bewohner

Der Autor Maxim Biller hat Anfang 2014 einen Klagegesang über die angeblich so biedere deutsche Gegenwartsliteratur angestimmt. Am meisten jammerte Biller darüber, dass gar jene Schriftsteller, die einen Migrationshintergrund aufwiesen, sich diesem öden Literaturbetrieb anpassen würden – statt sich ihrer doch so spannenden Herkunft zu widmen (als wären sie dazu verpflichtet, diese auf ewig zum Thema ihrer literarischen Werke zu machen). Als ein Beispiel für seine These diente Biller der 1978 in Bosnien-Herzegowina geborene Saša Stanišić. Mit seinem 2006 erschienen Debüt „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ konnte Stanišić den Kritiker noch überzeugen, weil es ein universell verständlicher Roman über das Leben, Lieben und Töten in Bosnien gewesen sei. Doch statt am Sujet seines erfolgreichen Erstlings anzuknüpfen, hat sich der seit 1992 in Deutschland lebende Autor (sehr zum Ärger Billers) mit seinem zweiten Roman in die ostdeutsche Provinz zurückgezogen.

In „Vor dem Fest“ erzählt Stanišić die Geschichte des uckermärkischen Dorfes Fürstenfelde anhand seiner Bewohner. Da ist der Rentner Schramm, ein ehemaliger NVA-Oberst, der sich am liebsten eine Kugel in den Kopf schösse. Da ist der Hühnerzüchter Ditzsche, der einst als Briefträger im Auftrag der Stasi, die Post durchstöbert haben soll. Und da sind ein toter Fährmann, ein müder Glöckner mit seinem munteren Lehrling, eine knapp 90-jährige Malerin und viele andere Figuren, die einander begegnen – und zwar in einer mystischen Nacht, in der gar Füchse und Geister ihr Unwesen treiben. Aber es ist auch nicht irgendeine Nacht, sondern die Nacht vor dem großen Fest, das am kommenden Tag in Fürstenfelde steigen soll; und es scheint so, als müssten einige Fürstenfelder noch das eine oder andere zu Ende bringen, bevor das Fest beginnen kann.

Auf kunstvolle Weise hat Stanišić das Stimmengewirr dieser sonderbaren Nacht zu einem wohlklingenden Chor zusammengefügt. Er nähert sich liebevoll seinen Protagonisten und der Historie dieses Dorfes, das sich – seiner Winzigkeit und Provinzialität zum Trotz – bei Stanišić in einen zauberhaften Kosmos verwandelt. Mag das Buch zwar hie und da Längen aufweisen, so ist es keineswegs (wie von Biller behauptet) nichtige Provinzprosa – im Gegenteil: Stanišić zeigt, dass nicht der Schauplatz darüber entscheidet, ob Literatur zu den Tiefen der menschlichen Existenz vordringt, sondern vielmehr die Art und Weise, wie man sich seinem Sujet und den damit verwobenen Figuren zuwendet.

Mag das alles einen Maxim Biller dennoch nicht überzeugt haben, so doch zumindest die Jury der Leipziger Buchmesse, mit deren Preis „Vor dem Fest“ 2014 ausgezeichnet worden ist.

Saša Stanišić: Vor dem Fest. Luchterhand, München. 320. Seiten, 19,99 €.

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