Abbas Khider rechnet mit dem deutschen Asylverfahren ab
Karim Mensy wollte zu seinem Onkel nach Paris, ist jedoch in Dachau gelandet. Gebracht wurde der Iraker in einem Transporter, seine Fahrer haben den Ahnungslosen an einem Wintermorgen in der bayerischen Kreisstadt ausgesetzt. Dachau. Das könnte ungute Assoziationen wecken, allerdings nicht bei Karim, dem der Ort nichts sagt, aber auch alles andere als gefällt – es ist bitterkalt, und seine erste Nacht in Dachau muss er in einer Gefängniszelle verbringen, weil er sich illegal in Deutschland aufhält.
Der 20-Jährige ist aus dem Irak geflohen, um nicht zum Militär eingezogen zu werden. Er hat Schlepper dafür bezahlt, ihn aus dem Irak nach Frankreich zu bringen. Nun ist er in Deutschland und muss hier bleiben, muss hier einen Asylantrag stellen, in einem Flüchtlingsheim leben, sich mit den Behörden rumschlagen und warten, bis er als Flüchtling anerkannt wird, arbeiten und Deutsch lernen darf.
Die Geschichte vom Karim, die Abbas Khider in „Ohrfeige“ erzählt, dürfte vermutlich in Teilen autobiografisch sein. Der 1973 in Bagdad geborene Khider ist selbst auf illegalen Pfaden nach Deutschland geflüchtet, wo er nun seit über 15 Jahren lebt und inzwischen als Autor viel Anerkennung gefunden hat. Obwohl der Nelly-Sachs-Preisträger von der Zeit um das Jahr 2000 herum erzählt, könnte sein vierter Roman kaum aktueller sein. Er schildert den trostlosen und bedrückenden Wartezustand der Geflüchteten, den Bürokratiewahn und Alltagsrassismus – und zwar in einer meist klaren, teils wütenden, teils lakonischen Sprache.
Dieses Buch könnte so etwas wie der Roman der Stunde sein, denn hier erzählt jemand, der weiß, wovon er spricht. Leider ist das Werk nicht durchweg gelungen. Die Rahmenhandlung – ein Kiffertraum, in der Karim mit seiner Sachbearbeiterin abrechnet – wirkt unnötig konstruiert; zudem fehlt es der Hauptfigur und der Story ein bisschen an Komplexität und Tiefe. Dennoch ist „Ohrfeige“ ein Gegenwartsroman, der dieses Prädikat vollauf verdient und dem man vor allem jene als Leser wünscht, die sich bisher nicht mit dem Alltag von Asylsuchenden auseinandergesetzt haben.
Abbas Khider: Ohrfeige. Hanser, München. 224 Seiten, 19,90 €.