Gedankengestöber in Rom

F. C. Delius sitzt neben dem Papst und entromantisiert die Ewige Stadt

Ein März-Sonntag im Jahr 2011. Ein deutscher Archäologe, der sich inzwischen als Fremdenführer verdingt, legt vor seiner nächsten Tour eine Verschnaufpause ein. Er setzt sich in die letzte Reihe einer evangelischen Kirche und entdeckt in der Bank neben sich – den Papst. Unauffällig gekleidet, „ohne seine autoritätsverheißende Tracht“, sitzt der Stellvertreter Gottes da und betet vor sich hin. Sogleich ist der „pensionierte Scherbenputzer“ in seinem Element und beobachtet mit verstohlenem Blick die linke Hand des Papstes wie ein antikes Fundstück, dessen Oberfläche er zu lesen versucht. Der Anblick der berühmten Hand setzt in seinem Kopf ein Assoziationsrauschen in Gang: Er sinniert über die Rolle des Papstes, durchstreift im Geiste die Ewige Stadt, rekapituliert hanebüchene Episoden der Kirchengeschichte und dekonstruiert en passant das romantisierende Klischee, das sich Rombesucher mithilfe von Fellini-Filmen an der Realität vorbeistricken.

Der 1943 in Rom geborene Büchner-Preisträger Friedrich Christian Delius zeigt sich in seiner Erzählung „Die linke Hand des Papstes“ erneut als Kenner seiner Geburtsstadt. Doch während seine 2006 publizierte Erzählung „Bildnis der Mutter als junge Frau“ eine einzige Liebeserklärung an Rom war, finden sich dieses Mal im Gedankengestöber des Erzählers allerlei kritische Töne zur „Hauptstadt des Größenwahns“, in der Verfall, Verkitschung, Vermarktung, Massentourismus und Mafia vorherrschten. Rom sei ewig, weil sein Verfall unendlich sei. Dennoch macht diese frei mäandernde Erzählung – so paradox es klingen mag – Lust auf eine Rast auf der Spanischen Treppe, dem vom Autor beklagten „Pissegestank“ zum Trotz.

Friedrich Christian Delius: Die linke Hand des Papstes. Rowohlt, Berlin. 128 Seiten, 16,95 €.

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