Pöbeln, was das Zeug hält

Der Satiriker, Sprachkritiker und Schriftsteller Eckhard Henscheid versucht sich mit „Denkwürdigkeiten“ an einer Art Autobiografie und konzentriert sich dabei auf die Abteilung Attacke.

Wenn ein „Krawallliterat“ wie Eckhard Henscheid eine Autobiografie vorlegt, darf man gespannt sein; schließlich ist Henscheid ein kritischer Geist, der sich nie das Maul zukleistern lässt und notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zieht, um für seine Meinungsfreiheit zu streiten. In den Satirezeitschriften „Pardon“ und „Titanic“, in überregionalen Tageszeitungen wie der FAZ sowie in einigen seiner Bücher – unter anderem in „Dummdeutsch“ (1985) und „Die Nackten und die Doofen“ (2003) – hat er teils brillante, stets bissige Sprachkritik betrieben gegenüber dem „Geschwurbel“ in der Politik, dem Feuilleton oder der Werbung. Aber natürlich wird man Henscheid nicht gerecht, wenn man ihn auf seine lauten Töne reduziert und als Satiriker abtut, denn als Schriftsteller hat er sich in zahlreichen Gattungen hervorgetan: Er hat Romane, Erzählungen, Märchen, Idyllen, Essays und vieles mehr verfasst.

Anekdoten, abgebrochene Textbröckchen & viel Durcheinander

Vor inzwischen knapp fünf Jahren hat er mit „Denkwürdigkeiten“ also eine Art Autobiografie vorgelegt. Henscheid wäre jedoch nicht Henscheid, wenn er lediglich brav sein Leben nacherzählte. Zwar ist das Buch in sieben Kapitel (die jeweils ein Jahrzehnt umfassen) unterteilt, allerdings hält sich der 1941 im ostbayrischen Amberg geborene Autor nur grob an diese chronologische Aufteilung; stattdessen hüpft er in der Zeitleiste munter hin und her, greift voraus, blickt zurück, stürzt sich in eine Reflexion über Musik oder Literatur, würgt den Gedankengang abrupt ab und betont das Fragmentarische seines Werkes zusätzlich, indem er hie und da das Wort „Fragment“ hinter ein abgebrochenes Textbröckchen einfügt.

Henscheid macht keinen Hehl daraus, dass ihm persönlich „immer das Viele und Durcheinanderne am besten gefallen“ habe. Dieser Vorliebe getreu folgend gibt es in „Denkwürdigkeiten“ kaum Struktur oder Erzählfluss, sondern vor allem viel Durcheinander. Henscheid plaudert über einzelne Kindheitserlebnisse (wie ein Krippenspiel, Tischfußball in der Küche oder sein erstes Wagner-Konzert), berichtet in Anekdoten von Interviews mit Walter Jens oder Herbert Wehner, von einem Spaziergang mit seinem „langgedienten Leibfeind“ Marcel Reich-Ranicki oder von nicht geschriebenen Büchern – dabei streut er allerlei Zitate von Kant, Hegel, Adorno oder anderen Geistesgrößen ein. Manchmal mutet das Ganze wie ein monströser Bewusstseinsstrom an, den Henscheid in teils endlos sich windenden, mit Fremdwörtern gespickten und nicht immer nachvollziehbaren Schachtelsätzen über sein Publikum ausgießt.

berserkerhaftes Gezeter & zahlreiche Scharmützel

Nichtsdestotrotz ist das an manchen Stellen amüsant, zum Beispiel wenn er über die Tortur des Romanschreibens klagt und beschreibt, wie alle Welt sich im Sommer im „Schwimmbad wälzt oder im Ausland herumeiert (…), indessen der Romancier bei 26 bis 37 Grad Zimmertemperatur unverzagt kleinste stilistische Verschönerungen und noch kleinere gestaltpsychologische Verbesserungen auf S. 171 und 353 und ausgerechnet auch noch 507 auszutüfteln hat“.

Auch seine furiosen Schimpftiraden gegen die Literatur, das Feuilleton und den Kulturbetrieb im Allgemeinen vermögen aufgrund ihres derben Schwungs vereinzelt mitzureißen. Auf Dauer stellt sich allerdings die Frage, was dieses berserkerhafte Gezeter gegen Peter Rühmkorf, Günter Grass, das Ehepaar Mitscherlich, Jürgen Habermas und viele weitere Schriftstellerkollegen und Personen des öffentlichen Kulturbetriebs eigentlich soll. Hat der Mann nichts anderes zu erzählen? Was ist mit der Neuen Frankfurter Schule, der er zugerechnet wird? Was ist mit seiner Tätigkeit bei „Pardon“ und „Titanic“? Außer ein paar wenig schmeichelhaften Anekdoten zu Robert Gernhardt erfährt der Leser kaum etwas aus diesem Umfeld.

Die größte Aufmerksamkeit lenkt Henscheid auf seine zahlreichen Scharmützel im Feuilleton – insbesondere auf den Streit um Heinrich Böll, den Henscheid im Frühjahr 1991 in einer Kurzkritik als „steindummen, kenntnislosen und talentfreien Autor“ beschimpft hatte. Wegen dieser Äußerungen kam es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit René Böll, dem Sohn des Literaturnobelpreisträgers. Das Bundesverfassungsgericht entschied schließlich gegen Henscheid, da die Böll-Rezension eine nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckte Schmähkritik sei. Henscheid rekapituliert das alles detailliert – selbstverständlich nicht ohne noch einmal wüst gegen die beiden Bölls zu granteln.

Fragmente-Karussell eines Bullterriers

Henscheid teilt gerne aus und steht dazu: „Sei getrost, Leser, unnachsichtig abrechnerisch geht es weiter.“ Wie ein Bullterrier beißt er sich an vielen, teils bereits Jahrzehnte zurückliegenden Konflikten fest. Dabei wird man das Gefühl nicht los, er gefällt sich außerordentlich in seiner hochstilisierten Rolle als Einzelkämpfer gegen die „Deppenkultur“ sowie „afterdummdreist herumkrähenden“ Printmedien. Dementsprechend nennt er sich selbst einen „öffentlich umtriebigen Frontkämpfer“.

Zwischendurch drängt sich der Gedanke auf, das Buch könnte augenzwinkernd, mit viel Ironie angerührt, als Parodie gedacht sein; doch der verbissen rechthaberische Ton lässt daran zweifeln. Und im Schlusswort erklärt der Autor seinen Lesern schließlich auch, wie er sein Werk verstanden wissen will – als eine Reminiszenz an eine vergessene Literaturgattung des 19. Jahrhunderts.

Ob dieses um sich selbst drehende, mit Pöbeleien überladene Fragmente-Karussell tatsächlich in irgendeiner Tradition steht, sei dahingestellt. Fakt ist: Über 416 Seiten lässt sich das streitsüchtige Gezeter nur schwer ertragen. Henscheid mag seine Erlebnisse und Ansichten für denkwürdig halten, letztlich ist das Denkwürdigste an „Denkwürdigkeiten“, dass der Autor der grandiosen „Trilogie des laufenden Schwachsinns“ nichts Gehaltvolleres aus seinen 70 Lebensjahren zu erzählen weiß.

Eckhard Henscheid: Denkwürdigkeiten. Aus meinem Leben. 1941 – 2011. Schöffling & Co. (2013), Frankfurt a. M. 416 Seiten, 22.95 €.

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