Explodierende Pipelines

Ein Zeitungsfoto von Andreas Malm aus der Wochenzeitung die ZEIT und das Cover seines Buches "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt"

Seit Januar geben das Bremer Literaturkontor und das virtuelle Literaturhaus Bremen gemeinsam das Literaturmagazin Bremen heraus. Seitdem gab es Ausgaben zu den Themen Freundschaft, Menschenrechte, Wasser, Poesie, Expeditionen und Krimi. Ich bin zwar Teil der Redaktion, die gemeinsam die Themen und Ausgaben plant, war aber bisher leider nicht dazu gekommen, eigene Beiträge beizusteuern. Doch für die aktuelle Ausgabe zum Thema Klima habe ich nun eine Rezension beigesteuert, und zwar zu Andreas Malms Sachbuch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“, die ab heute im Magazin und hier auf meinem Blog zu lesen ist. Ein Blick ins Magazin lohnt auf jeden Fall, dort kann man auch noch alle Beiträge der vergangenen Ausgaben nachlesen, -hören und -schauen. Also, einfach mal stöbern. Und hier die Buchbesprechung

Gewalt ist keine Lösung, heißt es. Eine Binsenweisheit, der man gerne nickend beipflichtet. Aber stimmt diese Aussage wirklich in jedem Fall oder kann Gewalt manchmal doch dabei helfen, Probleme zu lösen? Diese Frage erörtert der schwedische Humanökologe Andreas Malm in seinem Sachbuch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“. Anders als der knallige Titel suggeriert, liefert Malm keine Anleitung für explosive Aktionen, allerdings durchaus Denkanstöße für den militanten Widerstand gegen die Verursacher der Klimakatastrophe.

Der vorwiegend pazifistische Protest sei Malm zufolge viel zu zahm und daher meist weitgehend erfolglos. Protestbewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion mögen eine Weile Aufmerksamkeit erregen, aber am Ende drohen die Aktionen zu verpuffen, sodass schließlich alles bleibt, wie es ist. Anhand einiger historischer Beispiele veranschaulicht Malm, dass es oft einer radikalen, gewaltbereiten Flanke bedürfe, damit soziale Protestbewegungen ihre Ziele erreichen. Das Gleiche, glaubt Malm, gelte für die Klimabewegung. Ihm geht es dabei jedoch ausschließlich um Gewalt, die sich gegen Objekte wie Tagebaubagger, SUVs oder Pipelines richtet.

Die Idee dahinter ist recht simpel: Sabotageaktionen sollen das System, das auf der Verfeuerung fossiler Brennstoffe beruht, immer wieder von Neuem lahmlegen und damit die Kosten so weit in die Höhe treiben, bis sich der Betrieb eines Braunkohletagebaus oder das Fahren eines SUVs nicht mehr lohnen. Wer jeden Morgen damit rechnen muss, sein Auto mit platten Reifen oder zerkratztem Lack vorzufinden, wird sich den Kauf eines SUVs gut überlegen.

„Konsum ist Teil des Problems, und zwar insbesondere der Konsum reicher Menschen. Es besteht eine überaus enge Korrelation zwischen Einkommen und Vermögen einerseits sowie CO2-Emissionen andererseits“ (S. 97)

Malm selbst hat sich offenbar bei diversen Sabotageaktionen beteiligt und zieht diese als Beispiele heran. Praxisnähe dieser Art mag bei einem Wissenschaftler etwas überraschen, doch der 43-Jährige versteht sich explizit auch als Aktivist. Das merkt man dem Stil seines Buches deutlich an. Manche Passagen kommen äußerst plakativ daher, einige Vergleiche wirken weit hergeholt und die Empörungsrhetorik nervt teilweise gehörig. Da wäre bei allem Verständnis für den berechtigten Ärger des Autors an vielen Stellen weniger Emotionalität vermutlich überzeugender.

Trotzdem bleibt bei allen stilistischen Mängeln die Frage höchst aktuell: Was tun, wenn weltweite Demonstrationen, erschütternde Klimaberichte und die Bilder von verheerenden Unwettern keine nachhaltigen Veränderungen bewirken? Braucht es dann nicht andere Formen des Widerstands? Malms Antwort ist eindeutig: Das Recht auf Widerstand kann sich in bestimmten Situationen in eine Pflicht verwandeln, in eine Aufforderung zu intelligenter Sabotage.

Man muss Malm in seiner Argumentation nicht unbedingt folgen, doch sein Buch liefert Fakten, Beispiele und Anregungen, die einen grübeln lassen, ob der aktuelle Protest angesichts der akuten Probleme nicht tatsächlich viel zu mickrig und milde ausfällt.

Andreas Malm: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen, Matthes & Seitz, Berlin 2020

6 Kommentare

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6 Antworten zu “Explodierende Pipelines

  1. Cora Koltes

    Das Literaturmagazin lese ich immer gerne und höre auch begeistert rein. Interessante Menschen und Themen, denen man dort begegnet.

    Ja, schwer ne Antwort zu finden auf die Frage nach Gewalt gegen Klimawandel. Mich nervt richtig, dass die Themen, die vor 40 Jahren schon aktuell waren, heute keinen Milimeter weitergekommen zu sein scheinen. Siehe Waldsterben, saurer Regen. Zu Zeiten meiner Kindheit ein Thema, dass Angst gemacht hat. Dann hat es sich mal gebessert – letzten Endes aber nicht nachhaltig genug, geschieht das Waldsterben doch immer noch.

    Ich versteh das auch nicht, mit den SUV s. Immer weniger Parkraum, aber breitere Autos. Klimakrise, aber SUV mit hohem Spritverbrauch. Eine Kollegin (Anfang 30, heiratet demnächst, Kinder anvisiert) hat sich vor 14 Tagen einen T-Roc gegönnt. Ihr Männe will auch einen, fährt ja momentan bloß Golf, das neueste Modell. Benziner, beide Autos. Unsere Azubine (20) träumt, sich nächstes Jahr einen Audi Diesel zu kaufen. Kein Scherz.

    Meine Schwester wohnt in Bad Neuenahr/Ahrweiler. Das Hochwasser hat ihr Haus geflutet bis unter die Decke. Bungalow. Alles ruiniert. Ob das Haus überhaupt wieder saniert werden kann, ist auf Grund der Nähe zur Ahr fraglich. Die Schwester meiner Schwägerin hatte „nur“ Wasser bis in den ersten Stock. Mein Bruder hatte Glück, wg. Hochwassermauer. Es sind dort soviele Menschen gestorben. Glück im Unglück, dass meine Schwester samt Mann und Kindern mit dem Leben davon gekommen sind und mein jüngerer Bruder, der in der schlimmen Nacht zum Helfen hingefahren ist. Eine Autobahnausfahrt später, wurde die Stützmauer an der Autobahn weggerissen. Die Autobahn rutschte ab. Ich hatte große Angst um meine Lieben.

    Ich verstehe da manches nicht. Aber Gewalt? Ich kann das nicht beantworten. Mit der Kollegin/Azubine hab ich gesprochen. Gefragt. Meine Meinung gesagt. Ich glaub, das ist gut so.

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  2. Cora Koltes

    Einmal drüber schlafen, hilft bei der Entscheidungsfindung 🙂
    Ich möchte mich nicht dazu verführen, drängen, hinreißen lassen, meine Wahrnehmung in „die“ z.B. SUV-Fahrer und „die“ ÖPNV-Nutzer, wie mich, zu trennen.
    Ich glaube, um eine dauerhafte Veränderung herbeizuführen, braucht es Argumente, den Aufbau einer starken Lobby und politische Lenkung mit Augenmaß: Anreize für umweltverträgliche Mobilität. Aufklärung. Attraktiver ÖPNV. Der Aufbau einer Lobby ist wie politische Arbeit langwierig, anstrengend, vielleicht auf den ersten Blick daher unattraktiv.
    Ich finde die Sichtweise in „die“ und „ich, bzw. meine Gruppe spaltend. Mit „die“ verschwinden die Gesichter der einzelnen Menschen, die für ihr Tun sicherlich auch Argumente haben.
    Gewalt stellt sich natürlich in der Öffentlichkeit mit wirkungsmächtigen Bildern dar. Da tut einer was, mobilisiert, greift an. Eine Lösung, die sich mit einem demokratischen Grundverständnis deckt, ist das meiner Meinung nach nicht.

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    • Danke für die beiden – auch sehr persönlichen und berührenden – Kommentare mit den vielen Denkanstößen. Bin auch der Meinung, dass ein Forcieren der Polarisierung problematisch ist – das hat ja auch schnell etwas von: Wir, die guten Rad-/ÖPNV-Fahrer*innen, und Ihr, die bösen SUV-Fahrer*innen. Von daher sind Gespräche und ein Austausch von Argumenten sowie friedliche Demonstrationen, Petitionen etc. an sich ganz sicher der bessere Weg! Allerdings, und das schreiben Sie ja auch, gibt es das ja alles schon seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten, und die Ergebnisse sind extrem mau. Und die SUVs sind ein griffiges Beispiel, wie einige Menschen offenbar nicht für Argumente zugänglich sind und ihren privaten Komfort über alle genannten Gegenargumente stellen und das dann oft mit einem fraglichen Freiheitsbegriff rechtfertigen oder mit (der einer Kapitulation gleichkommenden) Erklärung, dass man als Einzelner sowieso nichts ändern könne. Da kommt mir so langsam doch der Glaube abhanden, dass sich mit geduldiger politischer Lobbyarbeit in den nächsten zwei, drei Jahren ein rascher Bewusstseinswandel erreichen lässt, der ja angesichts der voranschreitenden Klimakrise dringend vonnöten wäre. Wer sich jetzt einen SUV kauft, der will den ja auch ein paar Jahre (meist alleine) fahren und weiterhin für lau (im Schnitt 23 Stunden am Tag) auf der Straße und auf den Gehsteigen abstellen dürfen (und der SUV-Markt ist ungebrochen der am stärksten wachsende Sektor im Automobilbereich). Damit will ich ganz sicher nicht Gewalt befürworten, aber ich finde schon, dass Malm recht hat, wenn er fragt, warum man es offenbar schulterzuckend hinnehmen soll, dass ganze Landstriche als Folge des fossilen Wirtschaftens zerstört und Städte verpestet werden, man aber keine Versuche unternehmen darf, die Maschinerie der fossilen Wirtschaft mithilfe von Sabotage ins Stottern zu bringen. Der Respekt vor privatem Eigentum scheint bei vielen Menschen offenbar größer zu sein als der vor der Natur und der Gesundheit von Menschen (denn Malm geht es ja ausschließlich um Gewalt/Sabotage gegen Sachen, um sich gegen die Klimakrise zu stemmen). Dementsprechend bin ich der Meinung, dass man über andere Formen des Protests inklusive mutigeren Formen des Widerstands (wie z.B. zivilen Ungehorsam) zumindest ernsthaft nachdenken sollte.

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  3. Cora Koltes

    Nachdenken kann man über alles. Tun und Lassen auch. 🙂
    Ich meine auch, wenn ich von einem Verschwinden der Gesichter schreibe, dass die Gesichter der Besitze*r von Gegenständen, die bekämpft werden, verschwinden. Ich käme nicht auf den Gedanken, den SUV meiner Kollegin zu zerkratzen. Einmal, weil ich sie kenne und mag, auch wenn ich den SUV-Kauf für falsch halte und zum Anderen: ja, weil ich das Eigentum anderer Leute respektiere.
    Die Erklärung von manch eine*m allerdings: ein Einzelner kann ohnehin nichts tun, halte ich für Quatsch. Natürlich kann jede*r Einzelne was tun. Bei sich selbst anfangen und nicht warten, dass sich die Herde bewegt. Bald ist wieder Wahl, es wäre super, wenn die Beteiligung diesmal höher ausfallen würde.
    Als sich die Mitglieder von Extinction Rebellion (ich hoffe ich habs richtig geschrieben) abgeseilt und den Verkehr lahmgelegt haben, war übrigens auch der ÖPNV betroffen von den Mega-Staus. Ich kann- zugegeben aus reiner Unsportlichkeit- nicht mit dem Rad von Vegesack nach Oslebs, zu Fuß auch nicht. Und jetzt ist der Weg noch weiter: von Vegi nach Horn-Lehe. Wenn ich mehr als 1 Tag in der Woche arbeiten soll, haut das nicht hin. Wie finde ich das also, wenn mir als nicht Autofahrerin das Salz der Sabotage in meine ÖPNV-Suppe gestreut wird? 😉 Sabotage und Gewalt, auch gegen Sachen find ich nicht gut. 🙂

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    • Gut formuliert:) Und wie gesagt, ich bin absolut kein Befürworter von Gewalt, aber ein Befürworter von einem Nachdenken über andere Formen des Protests, die vielleicht mehr Wirkung zeigen. Wenn dieser Protest aber zum Beispiel auch den ÖPNV lahmlegt, ist das natürlich widersinnig und kontraproduktiv (Malm nennt kritisiert übrigens in seinem Buch auch ein Beispiel, wo Extinction Rebellion bei einer Aktion die Londoner U-Bahn lahmgelegt hat). Wählen zu gehen, ist natürlich gut. Wäre schön, wenn die Politik dann auch mutig agieren, Gesetze erlassen und Anreize schaffen würde, dass man vom (großen) Auto aufs Fahrrad, ÖPNV etc. umsteigt (momentan wirkt der Wahlkampf ja leider relativ ambitionslos). Frustrierend ist nur, dass das alles auch schon vor 20 – 30 Jahren hätte passieren können und nun die Zeit arg knapp wird, energisch umzusteuern – und der Verkehr ist ja nur eins von mehreren Beispielen.

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  4. Cora Koltes

    Danke. Für den Wahlkampf wünsche ich mir ebenfalls mehr Elan, Sachbezogenheit und Problemlösestrategien.
    Das Buch von Malm ist lesenswert, keine Frage. Andere Sichtweisen kennenzulernen ist in der Regel hilfreich. Ob man sich dem anschließt, bleibt ja jede*m selbst überlassen.

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