Max Goldt präsentiert in seinem Buch „Die Chefin verzichtet“ Kolumnen, Prosa-Miniaturen sowie Bonmots zum ganz alltäglichen Wahnsinn – wie bestickte Jeans, Stänkereien im Internet oder S-Bahn-Fahren mit Fußballfans
Das interessierte Fernsehpublikum versinkt am Abend gern in den Sofakissen, lässt sich von der Fernsehzeitung „inspirieren“ und knipst die Glotze an. Und was bekommt es dort von den Programmmachern serviert? Eine der zahllosen Politiktalkshows, die nur schwer voneinander zu unterscheiden sind – erst recht nicht durch die immer gleichen Gäste, „die die freie Aussicht auf die Stühle mit ihren Körpern verdecken“. „Warum aber haben diese Sendungen so stabile und hohe Einschaltquoten?“, fragt der Musiker und Schriftsteller Max Goldt, um gleich darauf eine einleuchtende Antwort zu präsentieren: „Nun: Man kann ja nicht immer ohne Hund und auch sonst sinnlos durch mangelhaft beleuchtete Vorortstraßen laufen (…) Man guckt, weil man glaubt, ein mit Streitgesprächen über Reizthemen beregneter Mensch sei demokratiefähiger als ein unberegneter.“
Es sind Bonmots wie diese, die Goldt graziös in seine Texte einstreut – Sätze, die aufgrund ihres Witzes, ihrer Leichtigkeit sowie sprachlichen Eleganz beiläufig daherkommen und doch oft mehr Wahrheit über unsere Zeit enthalten als so manche Möchtegern-Gegenwartsstudie. Hier ein weiteres Beispiel: „Darf man hingegen von einer besseren Zukunft träumen? Nein, darf man nicht. Doch man darf sich hinsetzen und sich überlegen, welchen Beitrag man leisten kann, dieses oder jenes Detail des schnöden Weltenganges zu verbessern. Vielleicht fällt einem ja etwas ein.“
Kann man lässiger darauf hinweisen, dass die Welt sich nicht durch das Spinnen glitzernder Visionen verbessert, sondern vor allem dadurch, dass jeder im Kleinen seinen Teil dazu beiträgt? Vielleicht klingt das hie und da ein wenig moralinsauer, aber was ist zu sagen gegen ein paar Funken Moral in der Literatur? In den vergangenen Jahren haben literarische Texte mit einer moralischen Botschaft ja beinahe einen derart schlechten Ruf bekommen wie humoristische. Und das ist durchaus problematisch für Herrn Goldt, denn er ist beides: Moralist wie Humorist.
Vor allem die humorvolle Seite ist es, die Goldt bekannt gemacht hat. Nachdem er in den 1980er Jahren mit seinen Kolumnen in der unabhängigen Berliner Zeitschrift „Ich und mein Staubsauger“ auf sich aufmerksam machte, heuerte er 1989 beim Satiremagazin „Titanic“ an, für das er seitdem eine Vielzahl von Kolumnen verfasst hat. Diese Kolumnen hat Goldt dann regelmäßig als Kompilationen in Buchform veröffentlicht.
Da humorvolle Lektüre – die eventuell sogar so komisch ist, dass man beim Lesen lachen muss – in der Literatenelite stets kritisch beäugt wird, hat es eine Zeit lang gedauert, bis Goldt als Schriftsteller die gebührende Anerkennung gefunden hat. Höhepunkt dieser Anerkennung dürfte die Verleihung des Kleist-Preises im Jahr 2008 gewesen sein. In der Laudatio zur Preisverleihung lobte der Schriftsteller Daniel Kehlmann, dass es bei Goldt „keine oberflächlichen Scherze gibt, daß es die Sprache selbst ist, aus deren Tiefe die Komik aufsteigt“. Und darin unterscheidet sich Goldt von den vielen Comedians, die zwar riesige Hallen oder gar ganze Fußballstadien zu füllen verstehen, deren Humor jedoch das Tiefgründige sowie die Sprachvirtuosität eines Max Goldt fehlt. Dieser Tiefgründigkeit entschlüpft zuweilen eine moralische Botschaft, die den Lesern jedoch nie ins Gesicht geblasen, sondern vielmehr im Vorbeigehen in die Menge geschnipst wird. Deshalb hat Kehlmann während seiner Laudatio Goldt den „unaufdringlichsten Moralisten“ genannt, jedoch nicht ohne ein paar Sätze später auch den „Mut zum Irrsinn und zur Absurdität“ zu preisen. Diese Absurdität, die Goldt mit origineller Formulierkunst in geschliffener Syntax darbietet, ist einmalig in der deutschsprachigen Literatur.
Der Hang zum Schrägen sowie die Freude am Absurden fällt einem bereits beim Blick in das Inhaltsverzeichnis von „Die Chefin verzichtet“ auf. Das neue Buch versammelt typische Goldt-Kolumnen aus den Jahren 2009 bis 2012, Prosa-Miniaturen sowie eine Sammlung von Aphorismen, die sich zu einer „Splitter-Collage“ zusammenfügt. Drei der insgesamt sechszehn Titel seien als exemplarische Beispiele für Goldts Vorliebe für Skurriles genannt: „Ich hatte – verzeihen Sie! – nie darum gebeten, im Schatten einer Stinkmorchel Mandoline spielen zu dürfen“, „Penisg`schichterln aus dem Hotel Mama“ sowie „Am Strand der Birnenwechsler“.
Diese Titel sind sowohl Programm als auch Finte, denn bei jeder der etwas längeren Kolumnen darf man sicher sein, dass Goldt nicht bei einem der in den Titeln angedeutet Themen verharrt. Die Kunst des Abschweifens beherrscht der 1958 als Matthias Ernst in Göttingen geborene Goldt wie kein anderer: Von der Hässlichkeit aktueller Buchumschläge gleitet er hinüber zu Kinderbuchklassikern, für die „ein in Manufactum-Leinenanzüge gekleidetes Restbürgertum“ nostalgietrunken schwärme, schlägt dann einen Bogen zum geografischen Mittelpunkt Deutschlands und endet schließlich mit einer Betrachtung über Moorleichen und Anthropologen, „die im Türrahmen lehnen, allzeit bereit zu sorglosem Plausch über Leben und Tod“.
Wie bereits in einigen seiner Veröffentlichungen gelingt es Goldt auch in „Die Chefin verzichtet“, die Komik offenzulegen, die dem menschlichen Dasein innewohnt. Sicherlich sind seine Kolumnen stets mit ihrer Entstehungszeit verknüpft, weil sie sich auf aktuelle Kulturphänomene, Prominente oder zeittypische Sprachwendungen beziehen – und dennoch haben die Perlen seines Gesamtwerkes etwas Zeitloses. Geschichten wie „Dem Elend probesitzen“ oder „Prekariat und Prokrastination“ aus seinem grandiosen Buch „QQ“ (2008) haben auch vier Jahre nach ihrer Veröffentlichung nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Gleiches dürfte für die besten Kolumnen seines aktuellen Werkes gelten.
(3.12.2012)
Max Goldt: Die Chefin verzichtet. Rowohlt, Berlin. 160 Seiten, 17.95 €.