Kein Bock auf Lesen vor Publikum scheint Helmut Krausser zu haben. Lustlos fläzt er sich auf den Stuhl, blättert in seinem Gedichtband, murmelt irgendwas vor sich hin. Zum Lesen im Stehen scheint die Energie nicht auszureichen.
„Ich lese lieber im Sitzen.“
Oder noch lieber – gar nicht?
„Der nächste Gedichtband wird gut“, soll er mal gesagt haben, „aber Gedichte liest ja kein Mensch.“
Scheint er aber nicht gern zu hören, Zitate aus seiner Vergangenheit zur Begrüßung aus dem Munde der Moderatorin.
„Tja, was soll ich dazu sagen.“ Das ist seine Begrüßung des Publikums, dem er dann ein Zorngedicht vorliest. Danach ist er wieder am Blättern.
„Diese Gedichte kann ich euch nicht zumuten, aber welche aus der U-12-Abteilung. Kindergedichte.“
Davon liest er dann drei, vier, und noch ein Zorngedicht zum Abschluss, in dem das lyrische Ich einer Frau aus Eifersucht gern den Schädel spalten würde.
Eine Zuhörerin mit weißem Haar und grauer Strickjacke schüttelt zu jedem Vers dieses Gedichts den Kopf und hält auch dann noch die Arme vor der Brust verschränkt, als alle anderen Schlussapplaus spenden und Krausser sich auf der Bühne zweimal verbeugt vor seinem Publikum …