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Zuhörerverachtung versus Publikumskopfschütteln

weserhausflur

Kein Bock auf Lesen vor Publikum scheint Helmut Krausser zu haben. Lustlos fläzt er sich auf den Stuhl, blättert in seinem Gedichtband, murmelt irgendwas vor sich hin. Zum Lesen im Stehen scheint die Energie nicht auszureichen.

„Ich lese lieber im Sitzen.“

Oder noch lieber – gar nicht?

Der nächste Gedichtband wird gut“, soll er mal gesagt haben, „aber Gedichte liest ja kein Mensch.“

Scheint er aber nicht gern zu hören, Zitate aus seiner Vergangenheit zur Begrüßung aus dem Munde der Moderatorin.

Tja, was soll ich dazu sagen.“ Das ist seine Begrüßung des Publikums, dem er dann ein Zorngedicht vorliest. Danach ist er wieder am Blättern.

Diese Gedichte kann ich euch nicht zumuten, aber welche aus der U-12-Abteilung. Kindergedichte.“

Davon liest er dann drei, vier, und noch ein Zorngedicht zum Abschluss, in dem das lyrische Ich einer Frau aus Eifersucht gern den Schädel spalten würde.

Eine Zuhörerin mit weißem Haar und grauer Strickjacke schüttelt zu jedem Vers dieses Gedichts den Kopf und hält auch dann noch die Arme vor der Brust verschränkt, als alle anderen Schlussapplaus spenden und Krausser sich auf der Bühne zweimal verbeugt vor seinem Publikum …

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Wurstgulasch im Wok – Let´s dance

weserhausfesnterblick

Jenseits der Glasfront des Weserhauses winken die Blätter der Bäume, dahinter kräuselt sich das Wasser der Weser und vorne im Raum steht eine australische Lyrikerin am Sonntagmorgen auf der Bühne und liest ein Gedicht über mexikanische Sturmwolken (oder habe ich das Gedicht später bloß in ihrem Buch Aria gelesen und im Nachhinein in meine Erinnerung reingeschmuggelt, weil es zum dauerbedeckten Bremer Himmel passt?).

Draußen, zwei Stockwerke tiefer, braucht ein Smart gefühlte fünf Minuten, um in einer Lücke einzuparken, in der vorher ein doppelt so langer BMW-Kombi stand. Erwarte gespannt, wer da aussteigen wird (es gibt da ja so Geschlechterklischees, denen man selbst schnell zu erliegen droht). Die Türen öffnen sich: Eine Frau um die fünfzig steigt aus – auf der Beifahrerseite. Ein Mann um die fünfzig, mit Käppi auf dem Kopf, auf der Fahrerseite.

Auf der Bühne jetzt Personenwechsel. Zwei deutsche Phrasen kennt der vielfach preisgekrönte Lyriker aus Costa Rica:

1) „Wie viel kostet das?“

2) „Eine Tüte, bitte.“

Das genügt doch eigentlich auch. Erst bezahlen, dann eintüten – zum Beispiel einen Band mit diesen kurzen Poemen, die von Bierflaschen auf Tischen, angeketteten Nachbarshunden oder Essensreste im Wok erzählen, oder vom Brummen der Kühlschränke, das ganze Familien einzulullen vermag. Oder einen der sechszehn Lyrikbände des derzeitigen Präsidenten des Litauischen Schriftstellerverbandes, der ein „Peitschenlachen“ in seinen sanften Versen aufknallen lässt.

Vor der Pause ein schlecht gelaunter Schriftsteller, der zuletzt eine Gebrauchsanweisung für den FC Bayern geschrieben hat. Nach der Pause schmettert der Festivalgitarrist ein Ringelnatzlied und animiert das Publikum zum Mitsingen.

„Oh hey, oh ha“, singen alle … na ja, fast alle.

Danach die vom BDI ausgezeichnete Poesiepreisträgerin 2015, die in ihren Gedichten Wolken wäscht, Wurstgulasch auftischt und Homer, Beatles und Holden Caulfield durch ihre Verse huschen lässt, während die Förderpreisträgerin des Bremer Literaturpreises 2015 in ihren Poemen den Wind Schwalben vom Draht reißen lässt und die jüngste Dichterin des Festivals mit dem Klang des Finnlandschwedischen einen neuen Sound in den Mittag mischt.

Zum Abschluss tritt der „Rockstar des Dialekts“ auf die Bühne. Ein Schweizer Riese, der mit Schwyzerdeutsch und Französisch den Klang der Sprache erforscht und über die Maulfaulheit seiner Landsleute sinniert („Stumm, aber effizient.“), und zwar zu den Bluesakkorden des Festivalgitarristen, der gemeinsam mit dem Mundartdichter zum Ende hin derart die Lyrik rockt, dass man geradezu mittanzen könnte. Bluesrockpoems. Schlussapplaus.

Im Treppenhaus wieder die Fotografin, die eine Dichterin dirigiert. Draußen ein Männertrio mit bunten Helmen und Radlerhosen auf Citybikes, an dessen Lenker Fahrradtaschen und eine Stadtkarte geklemmt sind. Einer zeigt auf die Gastro im Erdgeschoss des Weserhauses.

„Pause, hier können wir ein Bier trinken.“

Prost.

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