Ein Schönheitswettbewerb war der Ausgangspunkt für den Trojanischen Krieg. Die Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite lagen im Streite darüber, wer die Schönste von ihnen sei. Um den Wettstreit zu entscheiden, beriefen sie den trojanischen Königssohn Paris zum Schiedsrichter. Diesem gefiel Aphrodite am besten und er überreichte ihr den goldenen Apfel mit der Aufschrift „der Schönsten“. Als Lohn versprach die Göttin dem Jüngling die schönste Frau der Welt – die Griechin Helena, welche jedoch die Gattin des griechischen Fürsten Menelaos war. In Menelaos Abwesenheit entführte Paris Helena, was den Griechen missfiel und sie gen Troja zum Krieg aufbrechen ließ.
Streitereien darüber, wer oder was am schönsten ist, haben eine lange Tradition und werden auch im 21. Jahrhundert fleißig fortgeführt: Ob „Germanys next Topmodel“, diverse Miss-Wahlen oder Ranglisten über die weltschönsten Filmstars, Modekollektionen, Städte oder Parkanlagen – es scheint eine Sehnsucht zu geben, über Schönheit zu diskutieren sowie sie zu prämieren. Über Schönheit lässt sich vortrefflich streiten, da sie keine Eigenschaft ist, die an bestimmte allgemein verbindliche Merkmale gekoppelt ist. Alle Menschen haben eine vergleichbare Vorstellung davon, was „gelb“ oder „rund“ ist, aber viele unterschiedliche Vorstellungen davon, was schön ist. Einige finden sauber sanierte Stadtviertel schön, andere hingegen erkennen in alten bröckelnden Fassaden eine morbide Schönheit.
Ob ein Gegenstand als schön empfunden wird, scheint demnach mehr vom betrachtenden Subjekt abzuhängen als vom betrachteten Objekt selbst. Schönheit wäre folglich keine objektive Eigenschaft eines Gegenstands, sondern eine Empfindungskategorie des Rezipienten.
Ob Schönheit mehr ans Objekt oder Subjekt gebunden ist, darüber grübeln und zanken die Philosophen seit über zweitausend Jahren. In der griechischen Antike galt Schönheit in erster Linie noch als objektive Eigenschaft der Dinge. Für Platon verkörperten die schönen Objekte ein Urbild des Schönen – ein jenseits der Alltagswirklichkeit verborgenes Ideal. Diese Vorstellung vom Schönen als einer ideellen Qualität eines Gegenstandes wirkte bis ins 19. Jahrhundert hinein und findet sich noch beim deutschen Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel, der die Schönheit als Erscheinungsform einer objektiven Wahrheit ansah. Dabei bezog er sich allerdings vor allem auf das Kunstschöne, das ihm als Ausdrucksform des vernunftbegabten Menschen mehr galt als das Naturschöne.
Seit dem späten 18. Jahrhundert jedoch konzentrierten sich viele Philosophen im Zuge von Immanuel Kants „Kritik der Urteilskraft“ bei der Analyse des Schönen verstärkt auf das Erlebnissubjekt und dessen ästhetisches Empfinden. Nach Kant ist Schönheit keine Eigenschaft des Objekts, sondern sie entsteht durch die Reflexion des erkennenden Subjekts. An diesen nicht-objektiven Schönheitsbegriff knüpft im 20. Jahrhundert Theodor W. Adorno in seiner Kritischen Theorie an. Adorno kritisiert die Instrumentalisierung des Schönen durch die Kulturindustrie, die darauf abziele, gesellschaftliche Missstände zu beschönigen. Somit wäre das Schöne nicht die Verkörperung einer Wahrheit, sondern eine Täuschung.
Letztlich können die verschiedenen philosophischen Erklärungen keine allgemeingültige Definition dafür liefern, was schön ist und was nicht. Auch die Frage, ob bestimmte Objekte an sich schön sind oder die Schönheit vor allem vom Rezipienten abhängig ist, kann nicht eindeutig entschieden werden. Dennoch bieten die ästhetischen Theorien verschiedene Perspektiven, um unsere Vorstellungen vom Schönen zu hinterfragen. Außerdem geben sie Anregungen für die Analyse des gegenwärtigen Schönheitsbegriffs, denn sowohl Platons Theorie von der ideellen Qualität des Schönen als auch Hegels Konzept vom Kunstschönen scheinen in pervertierter Form in der Schönheitsindustrie fortzuleben: Mit Hilfe der Chirurgie, Beautysalons und Fitnessstudios streben Einzelne danach, bestimmte Ideale im Äußeren ihrer Person zu verwirklichen. Ähnliches findet sich in der Gestaltung von Städten, öffentlichen, aber auch privaten Räumen: Einige wenige Ideale bestimmen die Ästhetik von Orten – als gäbe es tatsächlich eine einzige (platonische) Idee der Schönheit, der es in der Realität nahe zu kommen gilt. Mit Adorno gedacht legen jene öffentlichen Leitbilder den Verdacht nahe, dass diese Schönheit bloß noch eine trivialisierte Form ist, die letztlich allein kommerziellen Interessen dient.
Eine Folge der Dominanz bestimmter Schönheitsideale sind zum Verwechseln ähnliche Innenstädte und Reihenhaussiedlungen am Stadtrand sowie Menschen, die sich mit Hilfe von Chirurgie, Kosmetik und Mode dem Aussehen ihrer Vorbilder anpassen. Diese Tendenz zur Vereinheitlichung wirft die Frage auf, ob unser ästhetisches Empfinden überhaupt autonom ist oder ausschließlich durch Werbung, Hollywood und Boulevardmedien geformt wird, sodass letztlich gar nicht jeder Einzelne unabhängig aus sich heraus, sondern medienmanipuliert entscheidet, was schön und was hässlich ist?
Bei allen Streitereien über die Ursprünge und Relativität von Schönheit bleibt festzuhalten, dass die Diskussionen über das Schöne auf einer Vielfalt beruhen, die sich auf Individualität und Einzigartigkeit gründet. Schließlich müssen wir uns fragen, ob unsere Welt nach bestimmten genormten ästhetischen Kriterien möglichst einheitlich gestaltet werden soll oder ob sie Ausdruck eines disparaten und dadurch vielfältigen Schönheitsempfindens sein soll, über das sich weiterhin vortrefflich streiten lässt.
Oh schön! Mythologie und Philosophie, das gefällt mir! Interessante Gedanken! 🙂
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Ich bin für „vielfältiges Schönheitsempfinden“ – ich glaube, das ist am Natürlichsten.
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