Im Rahmen der 40. Literarischen Woche Bremen lesen vom 18. bis 26. Januar nicht nur der Buchpreisträger Frank Witzel und der Preisträger des Bremer Literaturpreises Henning Ahrens, sondern insgesamt ein knappes Dutzend Schriftsteller*innen. Und mit Janko Marklein, Fabian Hischmann und Antonia Baum stellen gleich drei jüngere Autor*innen in einer gemeinsamen Lesung am 26. Januar ihre Coming-of-Age-Romane in der Bremer Stadtwaage vor.
„Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ ist der skurril ausschweifende Titel des Romans, mit dem Frank Witzel im vergangenen Jahr den Deutschen Buchpreis absahnte. Darin entfaltet Witzel auf 800 Seiten den irrwitzigen Kosmos eines 13-Jährigen, der Ende der 60er in der BRD nicht nur mit den Geschichten der RAF-Terroristen aufwächst, sondern von ihnen geradezu besessen scheint und auch bleibt, als er älter wird. Dass das Erwachsenwerden mit einer solchen Obsession nicht unbedingt einfacher wird, kann man sich vorstellen, und somit passt das Werk, aus dem Witzel am 21. Januar in der Stadtbibliothek lesen wird, perfekt zum Motto der diesjährigen Literarischen Woche. „Generation im Aufbruch. Von der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens“ lautet das Motto, unter dem die 40. Ausgabe des traditionsreichen Literaturfestivals steht.
Von der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens
Die Kämpfe, die man als Heranwachsender mit seinen Eltern, seinem Umfeld und sich selbst auszutragen hat, werden im Zentrum der gut ein Dutzend Lesungen, Diskussionen, Theater- und Filmvorführungen stehen. Neben dem Buchpreisträger Witzel, der in seinem Wälzer en passant die Vorwende-BRD auf amüsant absurde Art durchleuchtet, ist unter anderem die in der DDR aufgewachsene Angelika Klüssendorf mit ihrem Roman „April“ zu Gast – zudem werden weitere deutsche, spanische und französische Autor*innen ihre Bücher vorstellen.
Wie bei einigen anderen geladenen Autorinnen und Autoren liegt bei der 57-jährigen Klüssendorf sowie beim 60-jährigen Witzel der eigene Prozess des Erwachsenwerdens allerdings bereits eine Weile zurück. Deutlich dichter dran sind jene drei, die am 26.1. in der Stadtwaage zusammenkommen, um ihre Bücher vorzustellen: Janko Marklein, Fabian Hischmann und Antonia Baum.
schwieriger Vater bei Antonia Baum
Die Letztgenannte bietet dem Buchpreisträger Witzel durchaus Paroli, wenn es um skurrile Buchtitel geht: „Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren“ heißt der zweite Roman der Schiftstellerin und Journalistin Antonia Baum. Darin erzählt sie die Geschichte der drei Geschwister Clint, Johnny und Romy, deren Vater Theodor eine exotische Gestalt sondergleichen ist. Nicht nur ist er angeblich zugleich Arzt, Autohändler und bildender Künstler, sondern darüber hinaus hat er eine kuriose Vorstellung von Erziehung; da kann es schon mal vorkommen, dass der alleinerziehende Witwer seine drei Zöglinge spontan für zwei Wochen von der Schule befreit, um mit ihnen nach Berlin zu fahren, wo er ein Wettbüro gründen will. Mit einem solch egozentrischen Vater, der selbst nie wirklich erwachsen geworden zu sein scheint, verläuft auch der eigene Reifeprozess nicht ohne schwerwiegende Komplikationen ab.
Die 31-jährige Literaturwissenschaftlerin Antonia Baum widmet sich den generationstypischen Konflikten eher auf humorvolle Weise, schießt bei ihren satirischen Szenen allerdings das eine oder andere Mal vielleicht ein wenig übers Ziel hinaus – dennoch hat der unterhaltsame Roman durchaus Witz.
überforderter Antiheld bei Marklein
Ebenfalls mit viel Humor gespickt ist das Debüt von Janko Marklein. In „Florian Berg ist sterblich“ erzählt der 27-jährige Open-Mike-Gewinner des Jahres 2010 gekonnt lakonisch und mit einer deftigen Portion Ironie die Geschichte des titelgebenden Antihelden, der als Sohn eines Pastorenehepaars in der niedersächsischen Provinz aufwächst, sich dort halbherzig politisch engagiert, fürs Studium der Philosophie nach Leipzig zieht und schließlich zu einer Reise nach Südamerika aufbricht. Bei alldem zeigt sich Florian Berg als narzisstischer und unempathischer Charakter, der sich für nichts so recht zu begeistern weiß, seinen eigenen Gefühlen sowie den Anforderungen der Welt hilflos gegenübersteht und vom Erwachsenwerden komplett überfordert scheint – und es zudem seinen Lesern nicht immer leicht macht, für seine Handlungen und Worte Verständnis aufzubringen.
Für einen Ausschnitt aus seinem Roman erhielt der 1988 in Bremen geborene und in Niedersachsen aufgewachsene Marklein vor vier Jahren das Bremer Autorenstipendium; eine Auszeichnung, die ihn mit dem fünf Jahre älteren Fabian Hischmann verbindet, der darüber hinaus genau wie er am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig Kreatives Schreiben studiert hat. Hischmann erhielt das Autorenstipendium 2011 für einen Auszug aus seinem Debüt „Am Ende schmeißen wir mit Gold“, mit dem er 2014 sogleich für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war.
Icherzähler in der Existenzkrise bei Hischmann
Die Story von Hischmanns Roman ist rasch zusammengefasst: Max ist seit Kurzem Lehrer in Bremen, ansonsten jedoch vergleichbar lethargisch wie Florian Berg. Wenn er nicht unterrichten muss, hängt er lustlos vor der Glotze und schaut Tierdokumentationen. In den Sommerferien kehrt er jedoch zurück in sein süddeutsches Heimatkaff, um Haus und Hund seiner Eltern zu hüten, die nach Griechenland gereist sind. Dort trifft er auf seine verlorene Liebe Maria, die mit Freunden auf einem Bauernhof lebt, was bei Max Neid und Sehnsucht aufsteigen lässt. Als seine Eltern im Sommerurlaub verunglücken, weitet sich die mickrige Sinnkrise des Icherzählers zu einer deftigen Existenzkrise aus und er begibt sich – ähnlich wie Florian Berg – auf eine Reise, um die Schatten der Vergangenheit zu bändigen und zu sich zu finden.
Bei Hischmann geht es deutlich emotionaler zu als bei Marklein und weitaus realistischer als bei Baum. „Am Ende schmeißen wir mit Gold“ ist sicherlich der tiefschürfendste der drei Gegenwartsromane, die im Zusammenspiel einen vielversprechenden Abend über die Sehnsüchte und Schwierigkeiten heutzutage Heranwachsender ergeben dürften. Gespannt sein darf man nicht nur auf die drei Lesenden und ihre Werke, sondern auch auf das Publikum und die Antwort auf die Frage, ob das Thema des Abends auch jüngere Gäste anlockt und nicht nur das klassische Lesepublikum gehobenen Alters.
Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969. Matthes & Seitz, Berlin. 817 Seiten, 29.90 €.
Antonia Baum: Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren. Hoffmann & Campe, Hamburg. 400 Seiten, 22.00 €.
Janko Marklein. Florian Berg ist sterblich. Blumenbar, Berlin. 336 Seiten, 20,00 €.
Fabian Hischmann: Am Ende schmeißen wir mit Gold. Berlin Verlag, Berlin. 256. Seiten, 18,99 €.