In der Weltliteratur dem Sinn des Lebens auf der Spur
Die Frage nach dem Sinn des Lebens hat die seriös betriebene Philosophie eigentlich längst in die Esoterikecke verbannt. So gesehen gehen die beiden amerikanischen Philosophen Hubert Dreyfus und Sean Dorrance Kelly ein kleines Wagnis ein, wenn sie in ihrem Werk „Alles, was leuchtet“ anhand der Literaturgeschichte der Sinnfrage nachspüren. Ausgangspunkt ihrer Suche ist der ihrer Meinung nach vorherrschende Nihilismus unserer säkularen Gegenwart. Ob Gott nun tatsächlich tot ist (wie Nietzsche seinen Zarathustra behaupten ließ) oder nicht – für ein Gros der abendländisch geprägten Zivilisation haben die traditionellen Wertesysteme längst an Bedeutung eingebüßt. Der Mensch der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts richtet sein Leben nicht nach irgendwelchen Gottesgeboten aus, sondern entscheidet eigenständig über die Richtung.
Homer, Dante, Melville & David Foster Wallace als Sinnstifter
Das Problem dabei: Viele wissen nicht, wohin die Reise gehen soll. Die neu gewonnene Autonomie bringt nicht nur Freiheit mit sich, sondern ebenso Orientierungslosigkeit. Wenn die alten Werte nicht mehr zählen, an welchen Maßstäben soll sich der Einzelne dann orientieren? Vielleicht an jenen, die sich in der Literatur finden. Das zumindest versuchen Dreyfus und Kelly auf ihrem faszinierenden Ritt durch die Literaturgeschichte zu vermitteln. Ob Homers „Odyssee“, Dantes „Göttliche Komödie“, Melvilles „Moby Dick“ oder David Foster Wallace` „Unendlicher Spaß“ – stets durchstöbern sie die Weltliteratur nach Hinweisen, die dem modernen Menschen dabei helfen könnten, den Nihilismus abzuschütteln und sein Leben zum Leuchten zu bringen.
„Nach einem Leben zu streben, das keinerlei Kunstfertigkeiten bedarf, um erfüllend zu sein, heißt, die verflachte Welt unseres zeitgenössischen Nihilismus zu begrüßen. Die angemessene Reaktion auf diese Gefahr ist jedoch nicht die Ablehnung der Technik, sondern die Akzeptanz des technischen Fortschritts unter der gleichzeitigen Wahrung aller poietischen Sitten und Gebräuche, die sich einer ausschließlich von Technik bestimmten Lebensweise in den Weg stellen.“
Ein erfülltes Leben ist möglich
Abschließend tragen die beiden ihre Funde zusammen und folgern daraus die schlicht anmutende Empfehlung, dass ein erfülltes Leben möglich ist, wenn wir wieder lernen, unsere Sorgfalt, Sensibilität und Bereitschaft zum Staunen zu kultivieren – anstatt alles unseren technischen Assistenten wie dem Navigationsgerät oder dem Smartphone zu überlassen, während unsere Kunstfertigkeiten veröden.
Ob damit die Frage nach dem Sinn des Lebens beantwortet ist, wollen wir mal dahingestellt sein lassen, inspirierend ist dieses lebensnahe Buch über das Sinnstiftungspotenzial von Literatur allemal.
Hubert Dreyfus, Sean Dorrance Kelly: Alles, was leuchtet. Wie große Literatur den Sinn des Lebens erklärt. A. d. Amerikanischen v. Yvonne Badal. Ullstein, Berlin. 368 Seiten, 19,99 €.