In „Die Zukunft der Schönheit“ erzählt Friedrich Christian Delius von einem Jazzkonzert, der Gruppe 47 und seiner eigenen Biografie
Ziemlich genau 20 Jahre lang war die Gruppe 47 eine Institution der bundesrepublikanischen Literatur. In regelmäßigen Treffen kam hier die die Crème de la Crème der deutschsprachigen Schriftsteller und Kritiker zusammen, um neue Texte zu lesen, zu besprechen und schließlich einen dieser Texte mit einem Preis auszuzeichnen. Dreimal tagte die Gruppe 47 auch im Ausland, ein letztes Mal vom 22. bis 24. April 1966 im amerikanischen Princeton. Es war eine der letzten Tagungen der Gruppe, bevor sie 1967 zerbrach – und es war eine der denkwürdigsten, da ein seinerzeit noch vollkommen unbekannter, erstmals eingeladener Autor namens Peter Handke die Gruppe öffentlich harsch kritisierte, indem er ihr „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf.
Ebenfalls zu diesem Treffen der Gruppe 47 nach Princeton eingeladen war der damals erst 23-jährige Friedrich Christian Delius, der im Gegensatz zu Handke allerdings nicht die Gelegenheit bekam, seinen mitgebrachten Text den anderen Teilnehmern vorzustellen. Sein Gedicht – über die erste Berliner Demonstration gegen den Vietnamkrieg – blieb in der Jackentasche, und Delius war darüber nicht unglücklich. Dies erfährt man in Delius’ schmalem Büchlein „Die Zukunft der Schönheit“. In dieser autobiografischen Erzählung blickt der inzwischen längst anerkannte und vielfach ausgezeichnete Schriftsteller auf die Ereignisse des Aprils 1966 zurück.
„Jetzt erst, mit Aylers aufdringlichem Saxophon im Ohr, begriff ich, was meinem Gedicht fehlte, es war die Musik, es waren die schrägen Töne, es war das Wilde, das Freche.“
Assoziationsrausch zum Free-Jazz Albert Aylers
Ausgangspunkt seiner Reflexion ist ein Free-Jazz-Konzert des Saxofonisten Albert Ayler, das Delius am 1. Mai 1966 mit zwei Freunden im New Yorker Jazzclub „Slugs’ Saloon“ erlebt hat. Es ist Delius’ letzter Abend in den USA und der angehende Schriftsteller versucht, die Erlebnisse der vergangenen Tage einzusortieren. Stimuliert von den experimentellen Improvisationen der Jazzmusiker reflektiert Delius die Erlebnisse der Tagung, die politisch aufgeheizte Atmosphäre jener Tage, seine Schreibmotivation und das Gedicht, das er ursprünglich in Princeton hat lesen wollen und das ihm nun misslungen erscheint: „Jetzt erst, mit Aylers aufdringlichem Saxophon im Ohr, begriff ich, was meinem Gedicht fehlte, es war die Musik, es waren die schrägen Töne, es war das Wilde, das Freche.“
Von den Jazzklängen angetrieben gerät der junge Autor immer stärker in einen Bewusstseinsstrom, sinniert über sein Leben, die Konflikte mit seinen Eltern und seine literarischen Versuche. Bilder von einem Streit mit seinem Vater steigen in ihm hoch und Erinnerungen an die Stunden, in denen er seine ersten Gedichte getippt hat – und zwar auf der vom Vater hinterlassenen Schreibmaschine: „Nach dem Tod des Vaters hatte ich sofort seine Schreibmaschine erobert und den Triumph ausgekostet, eine ganz andere Buchstabenmelodie darauf zu spielen als er und auf ihren Tasten mein Glück zu suchen.“
Es ist geradezu ein Assoziationsrausch, den Friedrich Christian Delius auf den 90 Seiten seiner Erzählung entwickelt. Während er mit wenigen präzisen Strichen ein Bild von der Musik Albert Aylers, der Atmosphäre des Jazzclubs und von den politischen Auseinandersetzungen jener Jahre zeichnet, entfaltet er zugleich mit klug ausgewählten Momenten die Biografie eines werdenden Schriftstellers. Das alles fügt sich gelungen zusammen zu einem unaufgeregten Kleinod, das allen Jazz- und Literaturbegeisterten empfohlen sei.
Friedrich Christian Delius: Die Zukunft der Schönheit. Rowohlt, Berlin. 96 Seiten, 16,00 €.