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Wie ein Hollywoodstar vor Beton

shakeshof

In der Pause des zweiten Poesiemarathons ein wenig abseits: Fotosession mit dem Mitbegründer der Wiener Gruppe auf dem Schulhof vor dem Theater. Der Poet im Maiabend vor der Schulhausfassade, während die Vögel zwitschern – was aber niemand, der später die Fotos sieht, wissen wird, aber die Vögel wissen ja auch nichts von den radikalen Sprachexperimenten des Mannes, der sich von der Fotografin dirigieren lässt, während die anderen Dichter*innen & ihre Zuhörer*innen vor den Türen stehen und nach Luft oder Nikotin schnappen, drinnen vor der Theke oder den Toiletten Schlange stehen, den Büchertisch belagern oder mit dem Stift in der Hand von den Protagonist*innen des Poesie-Events Unterschriften verlangen.

(Zwischenspiel: Zwischenstand zur gleichen Zeit in einer anderen Stadt, die auch mit B beginnt: 3 zu 1 auf dem Grün, 3 zu 1 für die Volkswagentruppe gegen die Klopp-Elf. Kein Pokal auf dem Borsigplatz zum Abschied).

Stellen Sie sich doch mal so hin.“ Die Fotografin gibt Regieanweisungen. „Sie wissen schon, so wie die Hollywoodschauspieler.“ Sagt sie zu dem 85-jährigen Wiener Preisträger des Großen Österreichischen Staatspreises für Literatur (Thomas Bernhard hingegen hat nur den Kleinen Staatspreis bekommen – was er damals mit Ende dreißig als „Demütigung“ durch lauter „katholische und nationalsozialistische Arschlöcher“ empfunden habe; doch angenommen hat er den Preis dennoch, da er kein Aufsehen habe machen wollen und zudem nicht gewillt gewesen sei 25.000 Schilling abzulehnen. „Ich bin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selbst ein Schwein“, so Bernhard, der aber ja schon längst tot ist, viel länger, als es poetry on the road gibt und der hier, in diesem Text über das Festival, dementsprechend eigentlich gar nichts zu suchen hat – aber wenn man über Literatur spricht, sollte man dann nicht immer zumindest eine kleine Thomas Bernhard-Anekdote aus der Tasche ziehen?).

So wie die Hollywoodschauspieler. Klick. Klick. Klick. Das eine Digitalkamera so laut klickt, wer hätte das gedacht.

Ach, das haben Sie doch gar nicht nötig“, sagt sie jetzt, die Fotografin. „Sie haben so viel Ausstrahlung, Herr Rühm“, legt sie nach und lenkt den Dichter, der den Anweisungen höflich Folge leistet.

Schön, sehr schön!“, sagt sie, hält inne, schaut auf den Kamerabildschirm. „Hm, nein, das gefällt mir noch nicht. Das ist zu düster. Gehen Sie doch mal da hin. Vor die Wand, mit dem schreibenden Herrn im Hintergrund.“

Plötzlich bin ich im Bild, habe den Rühm im Rücken, der abgeknipst wird, mit mir als Kulisse sozusagen, zumindest für ein paar Fotos, dann steht die Fotografin hinter mir, spricht zu mir: „Könnten Sie woanders hingehen. Ich möchte vor der Wand ein Foto machen von Herrn Rühm.“

Also, raus aus dem Bild, Platz für ein Hollywoodfoto vom berühmten Dichter, der jetzt ein wenig steif dasteht in seinem grauen Anzug vor dem grauen Beton, auf dem jemand in Schwarz das Wort „kritisch“ gesprüht hat.

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20 Sekunden Rühm-Draufgabe

rühm

Zum Abschluss eine Ikone der experimentellen Dichtung als Chansonnier am Flügel. Zwei selbst getextete Chansons.

Applaus. Verbeugung. Das war´s. Der Abend ist aus.

Von wegen. Der Mann geht zurück an die Tasten.

„Noch eine kleine Draufgabe“.

Klar, nach über drei Stunden geht auch noch eine Zugabe. Warum nicht.

25 Sekunden später steht der Mann schon wieder. Das war die Zugabe. Auf den Punkt.

Schelmisches Grinsen eines 85-Jährigen im Rampenlicht. Gelächter. Applaus. Verbeugung. Abgang. Ende. Wein. Sekt. Saft. Bar. Büchertische. Morgen ist auch noch ein Tag …

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