
Ralf Rothmanns Erzählungsband „Hotel der Schlaflosen“
Nachdem Buchbesprechungen in den ersten Jahren eine zentrale Rolle auf diesem Blog gespielt haben, sind sie zuletzt ziemlich in den Hintergrund geraten. Da ich aber immer noch viele Neuerscheinungen lese, sollen kurze Rezensionen und kleine Buchtipps hier zukünftig wieder häufiger auftauchen. Das ist zumindest der gute Vorsatz – mal schauen, ob es klappt. Los geht es mit einer Besprechung zu einem meiner Lieblingsautoren (auch wenn das Buch bereits im Frühjahr 2020 erschienen ist).
Als ich vor drei oder vier Jahren im Anschluss an eine Lesung, die ich im Wallsaal der Stadtbibliothek moderiert hatte, mit dem Berliner Schriftsteller Ingo Schulze über seinen Kollegen Ralf Rothmann sprach, meinte Schulze, dass er nicht die Romane, sondern Rothmanns Erzählungen für seine besten Texte halte. Ich nickte und dachte sofort an Rothmanns ersten Erzählungsband „Ein Winter unter Hirschen“ (2001), der nach wie vor zu meinen absoluten Lieblingsbüchern gehört. Zwar mag ich auch Rothmanns Romane (wie „Stier“, „Junges Licht“, „Feuer brennt nicht“ oder „Im Frühling sterben“), aber seine Erzählungen gehören meiner Meinung nach zu dem Besten, was die deutschsprachige Literatur zu bieten hat, und jedem, der noch nichts von Rothmann gelesen hat, würde ich empfehlen, mit seinen Erzählungen zu beginnen, auch wenn Erzählbände unverständlicherweise nach wie vor einen schweren Stand in Deutschland haben.
Nachdem die Veröffentlichung des letzten Erzählungsbands („Shakespeares Hühner“) bereits acht Jahre zurücklag, ist im vergangenen Jahr mit „Hotel der Schlaflosen“ ein neuer erschienen, der elf Texte versammelt. In mehreren Geschichten steht wie so oft bei Rothmann das Arbeitermilieu im Fokus – die Protagonisten sind Maurer, Bestatter, Bergmänner. Deren Lebenswelt ist dem gelernten Maurer und Sohn eines Bergarbeiters vertraut, das spürt man in den Schilderungen der jeweiligen Szenerie, im authentischen Tonfall, dem fein abgestimmten Jargon in den knappen Dialogen. Rothmann ist ein im besten Sinne unakademischer Autor, dem es in seinen Texten nie darum geht, intellektuell aufzutrumpfen oder zu zeigen, wie famos er seitenlange (mit Fremdwörtern gespickte) Schachtelsätze zu konstruieren versteht. Vielmehr steht das Erzählen an sich im Vordergrund – die Magie einer alltäglichen Geschichte, die Poesie eines Augenblicks, der Zauber des Unspektakulären, die Schönheit der Sprache. Obwohl er als exzellenter Beobachter durchaus detailliert, bilderreich und zugleich stets realistisch beschreibt, erzählt er in seinen Texten nie mehr als nötig, lässt stattdessen als Meister der Andeutung vieles unausgesprochen, sodass immer genügend Raum für die Poesie der Geschichten und die Fantasie der Leser*innen bleibt.