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Balkonmomente … oder Selbstgedrehte bei hereinbrechender Nacht*

Spätabends hocken wir auf dem Balkon und schmöken, obwohl wir beide eigentlich Nichtraucher sind. Mit den Tabakresten, die schon seit Jahren in einem Fotofilmdöschen vor sich hin trockneten, hast du uns eine Selbstgedrehte gebastelt, die nun im Teelichtgeflacker zwischen uns hin und her wandert. Wir reden über den Arbeitsstress, der unseren Alltag taktet, und über den Quatsch, den wir in der letzten Nacht geträumt haben. Der Bambus, der in meinen Blumenkästen wuchert, raschelt mit seinen Blättern im Wind, der den Qualm in die Wohnung treibt, egal wie sehr wir uns bemühen, mit gespitzten Lippen die Rauchwölkchen über die Balkonbrüstung hinaus in den Hinterhof zu schicken.

Du hattest Lust, eine Zigarette zu rauchen, und ich hatte noch eine Packung mit alten Papers und das Filmdöschen mit Tabakresten, das längst vergessen in einer Schublade neben vollgekritzelten und genauso vergessenen Notizbüchern schlummerte. Der Tabak ist eigentlich viel zu trocken, um ihn genießen zu können, aber es ist auch komplett egal, wie die Selbstgedrehte schmeckt, solange wir einfach auf dem Balkon beieinandersitzen, der hereinbrechenden Nacht entgegenblicken und in den Sprechpausen den Geräuschen der Stadt lauschen – eine Straßenbahn, die auf der Friedrich-Ebert vorüberrauscht, eine zuknatternde Jalousie, der im Badezimmer gurgelnde Nachbar, ein aufheulendes Motorrad, eine im Hinterhof schreiende Katze.

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Kurzprosa mit Raum für Poesie

Ralf Rothmanns Erzählungsband „Hotel der Schlaflosen“

Nachdem Buchbesprechungen in den ersten Jahren eine zentrale Rolle auf diesem Blog gespielt haben, sind sie zuletzt ziemlich in den Hintergrund geraten. Da ich aber immer noch viele Neuerscheinungen lese, sollen kurze Rezensionen und kleine Buchtipps hier zukünftig wieder häufiger auftauchen. Das ist zumindest der gute Vorsatz – mal schauen, ob es klappt. Los geht es mit einer Besprechung zu einem meiner Lieblingsautoren (auch wenn das Buch bereits im Frühjahr 2020 erschienen ist).

Als ich vor drei oder vier Jahren im Anschluss an eine Lesung, die ich im Wallsaal der Stadtbibliothek moderiert hatte, mit dem Berliner Schriftsteller Ingo Schulze über seinen Kollegen Ralf Rothmann sprach, meinte Schulze, dass er nicht die Romane, sondern Rothmanns Erzählungen für seine besten Texte halte. Ich nickte und dachte sofort an Rothmanns ersten Erzählungsband „Ein Winter unter Hirschen“ (2001), der nach wie vor zu meinen absoluten Lieblingsbüchern gehört. Zwar mag ich auch Rothmanns Romane (wie „Stier“, „Junges Licht“, „Feuer brennt nicht“ oder „Im Frühling sterben“), aber seine Erzählungen gehören meiner Meinung nach zu dem Besten, was die deutschsprachige Literatur zu bieten hat, und jedem, der noch nichts von Rothmann gelesen hat, würde ich empfehlen, mit seinen Erzählungen zu beginnen, auch wenn Erzählbände unverständlicherweise nach wie vor einen schweren Stand in Deutschland haben.

Nachdem die Veröffentlichung des letzten Erzählungsbands („Shakespeares Hühner“) bereits acht Jahre zurücklag, ist im vergangenen Jahr mit „Hotel der Schlaflosen“ ein neuer erschienen, der elf Texte versammelt. In mehreren Geschichten steht wie so oft bei Rothmann das Arbeitermilieu im Fokus – die Protagonisten sind Maurer, Bestatter, Bergmänner. Deren Lebenswelt ist dem gelernten Maurer und Sohn eines Bergarbeiters vertraut, das spürt man in den Schilderungen der jeweiligen Szenerie, im authentischen Tonfall, dem fein abgestimmten Jargon in den knappen Dialogen. Rothmann ist ein im besten Sinne unakademischer Autor, dem es in seinen Texten nie darum geht, intellektuell aufzutrumpfen oder zu zeigen, wie famos er seitenlange (mit Fremdwörtern gespickte) Schachtelsätze zu konstruieren versteht. Vielmehr steht das Erzählen an sich im Vordergrund – die Magie einer alltäglichen Geschichte, die Poesie eines Augenblicks, der Zauber des Unspektakulären, die Schönheit der Sprache. Obwohl er als exzellenter Beobachter durchaus detailliert, bilderreich und zugleich stets realistisch beschreibt, erzählt er in seinen Texten nie mehr als nötig, lässt stattdessen als Meister der Andeutung vieles unausgesprochen, sodass immer genügend Raum für die Poesie der Geschichten und die Fantasie der Leser*innen bleibt.

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Morgendliche Milchschaumexplosion

Beim Blättern im Notizbuch wiederentdeckt: Ein kurzer Text aus Zeiten, in denen ich frühmorgens noch in der überfüllten Regionalbahn zur Arbeit fuhr, beim Coffee-to-go noch zu Plastikdeckeln griff und der Begriff Social Distancing noch nicht unseren Alltag prägte. Ein Text, der zudem erklärt, warum ich der Meinung bin, dass man eigentlich nicht vor sieben Uhr morgens aufstehen sollte.

Morgens um kurz vor sieben in der Bahnhofshalle. Bin mal wieder zu spät aus dem Bett gekrochen und ohne Frühstück in den Tag gestartet, kaufe mir deshalb auf die Schnelle noch einen Coffee-to-go und stehe nun vor der Station mit dem zusätzlichen Gedöns (Deckel, Rührstäbchen, Servietten, Zuckertütchen etc.), greife mir rasch einen Plastikdeckel und drücke ihn auf den Pappbecher; allerdings will der Deckel nicht so recht auf meinen Becher passen, weshalb ich leicht hektisch (in fünf Minuten fährt mein Zug) etwas fester drücke … etwas zu fest … nämlich so fest, dass der Becher einknickt und eine Kaffee-Milchschaumfontäne durch die Trinköffnung des Deckels meterhoch in die Höhe schießt, an mir vorbei (puh, Glück gehabt!) auf den Rücken eines Anzugträgers, der nun komplett – vom Kragen übers anthrazitfarbene Jackett bis hinunter zum Hosensaum – mit Cappuccino besprenkelt ist.

Ich starre auf die Rückseite des Mannes, fasse es nicht … Ist das gerade wirklich passiert? Der Mann scheint nichts bemerkt zu haben (vielleicht ist es also wirklich nicht passiert?), jedoch zwei, drei Leute, die um mich herumstehen und nun ähnlich fassungslos auf den Rücken des Mannes starren (offenbar ist es also doch passiert).

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Unreparierbare Jahressplitter – XII

Eine Schnipsel-Melange – Dezember

Abschlusslesung – Die Widerborstigkeit der Wörter

Noch eine Lesung. Noch ein Text. Ein Jahresrückblick wäre schön. Gern unterhaltsam. Ein bisschen witzig wäre auch toll. Aber der Text sollte natürlich zudem dem gehobenen Anspruch des durchaus kritischen Fachpublikums genügen.

Nichts leichter als das, denke ich und beginne sogleich erste Ideen und mögliche Handlungsfäden zu entwickeln, spinne Tag für Tag meinen Text fort, wäge im Gedanken diese oder jene Wendung ab. Schließlich gelingt es mir im Laufe der Wochen durch intensivste Kopfarbeit den Text am Abend vor der Lesung zu vollenden – zumindest in meinem Hirn. Dass ich noch keinen einzigen Satz zu Papier gebracht habe, empfinde ich als nebensächlich.

Kein Grund zur Panik, sage ich mir, der Text ist ja schon in deinem Kopf, da kann nichts mehr schiefgehen, das Ganze muss bloß noch runtergeschrieben werden.

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Softeis-Visionen

 

Ein bulliger, knapp vierzigjähriger Typ in Bluejeans, grau-blauem Pulli und mit blondiertem Bürstenhaarschnitt baut in der Morgensonne mit routinierten Handgriffen seinen Softeis-Stand an der Kreuzlinger Seepromenade auf, während weit darüber, am wolkenlos blauen Himmel, ein weißer Zeppelin schwebt – mit einem in grünen Großbuchstaben leuchtenden Werbeslogan auf seiner linken Flanke:

VISIONEN LEBEN!

 

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6 – Keine Zeit fürs Nichtstun

Londonkraftwerk

Einfach mal für ein Stündchen am Fenster im Sessel versinken, die Beine hochlegen und den Wolken beim Durchkreuzen des Himmelblaus hinterherschauen – das wäre schön, allerdings wäre es auch schade um die unnütz verstrichenen sechzig Minuten. Was ich alles schaffen könnte in dieser einen Stunde: mehrere Buchkapitel lesen, E-Mails schreiben, mit Freunden telefonieren, im Internet recherchieren, Unterlagen sortieren, die kommende Arbeitswoche organisieren … Nein, faul im Sessel hocken, das ist mir definitiv zu unproduktiv.

In Sachen Zeitverwertung treibt mich ein gnadenloser Anspruch, fürs Nichtstun bleibt da schlichtweg keine Zeit. Die Gestaltung meiner Tage, Stunden und Minuten unterliegt bei mir – wie bei vielen anderen Mitgliedern der heutigen Leistungsgesellschaft – einer Logik der Effizienz. Diese Logik funktioniert ganz im Geiste des vorherrschenden Neoliberalismus, der einen Imperativ der Leistung und Effizienz propagiert. Das zumindest behauptet Byung-Chul Han. Der in Seoul geborene und in Deutschland lehrende Philosoph kritisiert die Leistungsethik des Neoliberalismus, denn diese nehme die Zeit selbst in Geiselhaft und fessle sie an die Arbeit. Somit habe sich letztlich all unsere Zeit in Arbeitszeit verwandelt: „Die Arbeitszeit hat sich heute zu der Zeit schlechthin totalisiert. Sie ist die Zeit, die sich beschleunigen und ausbeuten lässt.“

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3 – Tage wie dieser

bristolwand

Tage wie dieser

Radiomelodien & 7 Handschläge im Halbschlaf

der Fluch der Radioweckerpausentaste

To-do-Listen-Umstrukturierung beim Zähneputzen

leere Kaffeedose zum Frühstück

Rechnerabsturz am Morgen

Erwartungsmanagement am Vormittag

Pasta mit Pesto zu Mittag (3. Mal in dieser Woche, Stand: Mittwoch)

unplanmäßig verlängerter Powernap auf dem Sofa

Prokrastination mit Matschbirne am Nachmittag

To-do-Listen-Impro beim Instant-Cappuccino (7 % Kaffeegehalt)

E-Mail-Marathon am Abend

Telefonterror & Facebookcheck zum Feierabend

von der To-do-Liste gestrichenes Entspannungsyoga

Abwasch kurz vor Mitternacht

1½ Buchseiten im Bett (vorab festgesetztes Soll: 20)

die im Kopf rotierende To-do-Liste nach dem Lichtausknipsen

Rage Against The Machine hörende Nachbarn weit nach Mitternacht

David-Lynch-Nightmares irgendwann in der Nacht

Festanstellungsträume (38-Stunden-Woche etc.) im Morgengrauen

Radiomelodien

 

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