In Josefine Rieks‘ Romandebüt „Serverland“ ist das Internet abgeschaltet worden – was das konkret für die Gesellschaft bedeutet und wie eine Welt ohne Internet aussehen könnte, bleibt dabei offen.
Eine Welt ohne Internet ist heutzutage nur noch schwer vorstellbar, dabei kannte vor gerade einmal 25 Jahren kaum jemand das World Wide Web. Vielleicht wäre es also auch denkbar, dass in 25 Jahren das Internet wieder von der Bildfläche verschwunden sein wird. Genau dies ist die spannende Ausgangsidee in Josefine Rieks‘ Debüt „Serverland“. In einer undatierten Zukunft (die vermutlich um das Jahr 2050 herum liegen dürfte) ist das Internet längst wieder Vergangenheit. Nach einem weltweiten Referendum Anfang der 2020er Jahre hat man das Internet abgeschaltet und komplett stillgelegt. Für die Jugendlichen in dieser Zukunft sind Google, Facebook, Instagram, YouTube und Co folglich verblichene Namen aus weit zurückliegenden Zeiten.
Warum genau eine Mehrheit dafür war, das Internet wieder abzuschaffen, erfährt man leider nicht, denn der Fokus in Rieks Roman liegt offensichtlich woanders. Im Mittelpunkt steht der Computer-Nerd Reiner, der bei der Post arbeitet und ausgemusterte Laptops sammelt – und zwar in einer Welt, in der Computer keine relevante Rolle mehr spielen. Reiner bastelt an den Geräten herum, um Computerspiele zocken zu können.
Die Wiederentdeckung der YouTube-Videos
Doch eines Tages erfährt er von seinem ehemaligen Klassenkameraden Meyer, dass in den Niederlanden immer noch gigantische Serverhallen der einstigen Internetgiganten existieren. Gemeinsam brechen die beiden zu den Hallen auf, wo sie auf eine Gruppe von jungen Leuten treffen, die ihre Laptops an die riesigen Server anschließen, um auf die gespeicherten Dateien zugreifen zu können. Mithilfe eines von Reiner entwickelten Programms, beginnen sie, sich Youtube-Videos herunterzuladen, sie anzuschauen, über ihre Bedeutung zu diskutieren und sie auf DVD´s zu brennen, um sie per Zufallsverfahren an irgendwelche Haushalte zu schicken.
Zwischendurch hocken die jungen Leute noch am Lagerfeuer herum, trinken Bier, rauchen Zigaretten oder Joints und beginnen sich darüber zu streiten, wie es weitergehen soll mit den Videos. Tja, und das war es dann eigentlich auch schon. Vielmehr passiert nicht – abgesehen von dem einen oder anderen Hin und Her, das allerdings oft überraschend unmotiviert wirkt. Überhaupt bleiben die Handlungsmotive der Figuren meist relativ schwammig. Warum genau begeistern sie sich für all diese Videos und wieso ist ausgerechnet ein Video des Terroranschlags auf das New Yorker World Trade Center der heißeste Scheiß?
Kein Hauch von Science-Fiction
Bloß weil das Internet abgeschaltet wurde, ist doch nicht plötzlich das komplette Videomaterial über 9/11 verschwunden. DVD-Player und Fernsehgeräte gibt es offenbar noch, dementsprechend müssten diese Bilder den Jugendlichen doch eigentlich bekannt beziehungsweise zugänglich sein, oder nicht? Auf solche Fragen gibt Rieks leider keine Antworten, da sie sich für die Außenwelt anscheinend nicht interessiert.
Der Großteil der Handlung spielt sich in und vor den Serverhallen des verlassenen Industriegeländes ab, und das Wenige, das man von der Außenwelt mitbekommt, erinnert eher an die 80er oder frühen 90er Jahre als an das Jahr 2050. Von Digitalisierung, Drohnen, Robotern oder Mobiltelefonen fehlt jede Spur. Offenbar wurde mit der Abschaltung des Internets jeglicher technischer Fortschritt aus der Welt verbannt. Nirgends ein Hauch von Science-Fiction oder interessanten Zukunftsversionen.
Das wirkt alles in allem sehr uninspiriert und ist extrem bedauerlich, weil eine famose Idee dadurch nicht ansatzweise ausgeschöpft wird. Da zudem die Dialoge (teil ins Englisch, teils in Deutsch) oft recht banal sind und die Hauptcharaktere weder besonders sympathisch, noch irgendwie faszinierend daherkommen, ziehen sich die knapp 170 Seiten doch arg zäh in die Länge. Schade.
Josefine Rieks: Serverland. Hanser, Berlin. 176 Seiten, 18,- €.
„dass in den Niederlanden immer noch gigantische Serverhallen der einstigen Internetgiganten existieren.“ Da kann ja jemand schreiben…
Was für eine verbohrte Kritik. Einen Sience Fiction Roman hätte er sich gewünscht… Ooohhhh!
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Klar, das kann man auch ganz anders sehen. Natürlich ist meine Bewertung an eine gewisse Erwartung gekoppelt, die durch die schöne Ausgangsidee des Romans geweckt wurde – wobei ich keineswegs einen Science-Fiction-Roman erwartet habe (wie du behauptest). Allerdings war ich ein wenig enttäuscht, dass die Zukunft im Roman eher wie die 80er Jahre aussieht – aber das ist sicherlich Geschmackssache und damit hätte ich mich gut arrangieren könne, es bleiben jedoch so viele offene Fragen und einige Ungereimtheiten. Warum verschwinden mit dem Internet die Computer aus der Alltagswelt – die hatten doch bereits lange vor dem Internet eine zentrale Bedeutung? Ohne Computer wäre unsere Welt eine radikal andere; im Roman scheint es geradezu so zu sein, als wäre mit dem Internet fast der komplette technische Fortschritt abgeschafft. Das scheint mir merkwürdig, genauso, dass es offenbar noch in jedem Haushalt Fernseh- und DVD-Abspielgeräte gibt, Rohlinge jedoch anscheinend rar zu sein scheinen und ein Video von 9/11 etwas ganz Besonderes (dabei gibt es doch auch unabhängig vom Internet Fernseharchive). Natürlich kann man als Autorin entscheiden, dass einen das alles nicht interessiert und außen vor lassen, und ich hätte damit eventuell sogar gut leben können, wenn mich die Figuren interessiert und die Handlung gepackt hätte. Das war jedoch leider nicht der Fall und darum ist meine Rezension doch arg kritisch, obwohl ich keineswegs gerne Verrisse schreibe und es mir in diesem Fall sogar noch etwas schwerer fiel, da ich Josefine Rieks persönlich kenne (und schätze). Aber das ändert nichts an meiner Meinung, die man aber keineswegs teilen muss – einige Kolleg*innen sehen das ja auch anders. Daher hätte mich anstatt eines abwertend spöttischen Kommentars auch mehr interessiert, ob du das Buch gelesen hast, und wenn ja, ob es dir gefallen hat, und wenn ja, was dir gefallen hat und warum du anderer Meinung bist als ich. Das würde mich nach wie vor interessieren, da ich es spannend fände, zu hören, ob andere mehr mit dem Roman anfangen können. Ich kann mir das auch durchaus gut vorstellen, da das Buch ja nicht schlecht ist, es hat mich persönlich bloß nicht überzeugt (aufgrund der genannten Gründe) – Josefine kann aber schreiben und ich bin gespannt auf ihren zweiten Roman. Und jedem, der den Roman noch nicht gelesen hat, den das Thema aber interessiert, rate ich dazu, ihn zu lesen und sich seine eigene Meinung zu bilden (und die dann gern hier mit mir zu teilen).
PS: Und sorry, ja: „gigantische Serverhallen der einstigen Internetgiganten“ – so etwas sollte tatsächlich nicht passieren, kann aber mal passieren, wenn keine zweite Person den Text redigiert (zeigt noch mal, wie unersetzlich so etwas ist).
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