Poesie im Rampenlicht

Auch die 19. Auflage des internationalen Poesiefestivals „Poetry on the Road“ versammelte wieder Lyrikerinnen und Lyriker aus aller Welt, um in Bremen die verschiedenen Facetten der Dichtkunst zu feiern.

Mehr Poesie auf deutschen Bühnen hat der Schauspieler Fabian Hinrichs unlängst auf dem Berliner Theatertreffen eingefordert, denn nichts „scheint momentan politischer zu sein als Poesie“. Das Bremer Theater kommt dieser Aufforderung zumindest einmal im Jahr äußerst prominent nach, in dem es die große Bühne seines Hauses für die Eröffnungsgala des internationalen Literaturfestivals „Poetry on the Road“ bereitstellt. Auch in diesem Jahr rückte die Lyrik am Freitagabend vor fast komplett gefüllten Rängen für drei Stunden ins Rampenlicht. Zwei Dichterinnen und fünf Dichter aus sechs Ländern performten Gedichte in Englisch, Deutsch, Chinesisch, Spanisch, Niederländisch und Schweizerdeutsch. Mehr Poesie geht kaum, auch wenn es möglicherweise nicht die Form von Poesiepräsenz ist, die Hinrichs gemeint hat. Sei’s drum – die Lyrik, die sonst oft eher ein Nischendasein führt, darf sich in Bremen einmal jährlich im Spotlight austoben.

Die Freiheit des Wortes & Bremen als „City of Literature“

Dass die Wortkunst in Zeiten, in denen die Freiheit des Wortes von vielen Seiten attackiert wird, solche Bühnen braucht, da sind sich die Festivalmacher Regina Dyck und Michael Augustin sowie die Bremer Staatsrätin für Kultur Carmen Emigholz einig. Emigholz verkündete während ihrer Festival-Eröffnungsrede gar den Plan, mit Bremen den UNESCO-Titel „City of Literature“ anzustreben. Man darf gespannt sein, wie dieser Plan umgesetzt wird, denn abgesehen von seinen drei Literaturfestivals (Literarische Woche, globale° und Poetry on the Road) gilt Bremen nicht unbedingt als Mekka der Literatur – weder gibt es hier ein großes Literaturhaus, noch eine herausragende Literaturzeitschrift, und sowohl aufstrebende als auch erfolgreiche Autorinnen und Autoren zieht es meist in andere Städte.

Vielfältig, humorvoll & politisch

Umso wichtiger ist die Rolle eines Festivals, das innerhalb von fünf Tagen 30 Autorinnen und Autoren aus 21 Nationen in der Hansestadt zusammenbringt. Wie vielfältig Gedichte zu klingen vermögen und wie unterschiedlich die darin verarbeiteten Motive und Themen sein können, bewies die Eröffnungsgala (unter der souveränen Leitung der Moderatorin Silke Behl) auf eindrucksvolle Art. Während der Büchner-Preisträger Jan Wagner mit Versen über Giersch, Rettich, Stechmücken und Koalas sowie einer Elegie auf einen Lateinlehrer für einen heiteren Auftakt sorgte, stand bei der amerikanischen Poetin Carolyn Forché die politische Lyrik im Fokus. In ihren Gedichten geht es ihr um Zeugenschaft, zum Beispiel von den Verbrechen und Gräulen des Bürgerkriegs in El Salvador (Ende der 70er Jahre) oder – ganz gegenwärtig – von einem kleinen Jungen in Schwimmweste, der als Wasserleiche an einen griechischen Strand gespült wurde.

Morgens vor sechs / schon wach zu sein / dafür einzunicken / bei Büchner, Brecht / oder Shakespeare / ist das normal? // Wird die Sparlampe / die du im WC einschraubst / Brenndauer 10000 Stunden / länger halten als du?“ (Franz Hohler)

Ebenfalls politisch, wenn auch nicht ganz so eindringlich, ging es beim argentinischen Dichter Sergio Raimondi zu, während der Schweizer Franz Hohler für viel Gelächter sorgte. In seinem gewitzt vorgetragenen Gedicht „Alt?“ reflektierte der 75-Jährige voller Selbstironie zentrale Fragen des Älterwerdens: „Morgens vor sechs / schon wach zu sein / dafür einzunicken / bei Büchner, Brecht / oder Shakespeare / ist das normal? // Wird die Sparlampe / die du im WC einschraubst / Brenndauer 10000 Stunden / länger halten als du?“

Liao Yiwu erinnert an Liu Xiaobo

Nach der Pause durfte der niederländische Altmeister Cees Nooteboom seinen aktuellen Gedichtband „Mönchsauge“ vorstellen, blieb jedoch in seiner leicht verhuschten Lesung recht blass. Im Kontrast dazu stand die bewegende Performance des chinesischen Schriftstellers Liao Yiwu. Der seit 2011 im Berliner Exil lebende Dichter leitete seinen Vortrag mit einem zärtlichen Flötenspiel ein, bevor er in einem wütenden Gedicht an seinen 2017 im Gefängnis verstorbenen Freund, den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und an dessen seit acht Jahren unter Hausarrest stehende Witwe Liu Xia erinnerte.

Eine ganze Welt sah zu / wie man einen noblen Mann / wie ein herausragendes Buch / langsam in Stücke zerriss.“ (Liao Yiwu)

Mutig wäre es gewesen, hätten die Veranstalter diesen aufrüttelnden Auftritt als Schlusspunkt gesetzt, statt den Abend versöhnlich heiter ausklingen zu lassen. Auch wenn viele der jüngeren Gäste dem Auftritt der Sängerin und Songschreiberin Judith Holofernes („Wir sind Helden“) entgegengefiebert haben dürften, wirkten ihre drolligen Tiergedichte sowohl von der Form als auch vom Inhalt her doch arg schlicht.

Schreiben in Zeiten von Exil und Vertreibung

Wie tiefgreifend und existenziell es hingegen in der Poesie zugehen kann, zeigte sich noch einmal am Samstagmorgen direkt neben dem Theater in der Villa Ichon. In dem vom Bremer Literaturkontor organisierten Format „Talking Poetry“ diskutierten Carolyn Forché und Liao Yiwu engagiert über das Schreiben in Zeiten von Exil und Vertreibung. In dem vom Bremer Autor Ian Watson moderierten Gespräch wurde sehr deutlich, was politische Lyrik leisten kann und welche Entbehrungen und Bedrohungen manche Dichterinnen und Dichter dafür aushalten müssen. „Politische Lyrik ist Poesie, die eine Wahrheit erzählt, und zwar einem Publikum, dass diese Wahrheit nicht hören will“, meinte Forché gegen Ende der knapp 90-minütigen Veranstaltung. Schade, dass an diesem inspirierendem Gespräch über die politischen Dimensionen der Lyrik bloß 30 Gäste interessiert waren.

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