Schnappschuss mit Auto

Es ist Donnerstagnacht. Bis eben haben wir getanzt. Marc und ich in der Indie-Disco, die jeden Donnerstag in dem Großraumschuppen stattfindet, den wir sonst eigentlich meiden, aber so oft wir können ansteuern an dem Indie-Donnerstag. Der letzte Song, zu dem wir getanzt haben, ist Peaches gewesen von The Presidents of the United States of America. „Movin‘ to the country, gonna eat a lot of peaches, movin‘ to the country, gonna eat me a lot of peaches … Millions of peaches, peaches for me, millions of peaches, peaches for free. Look out!”

Verschwitzt kommen wir aus der Disco, um uns auf den Nachhauseweg zu machen, da sehen wir das Weiß, das den kompletten Parkplatz und alle Autos mit einer feinen Schicht überzieht. Im Neonlicht der Parkplatzbeleuchtung tanzen die Schneeflocken. Es ist der erste Schnee in diesem Winter. Vor uns liegen 40 Kilometer Landstraße, es ist ein Uhr nachts, kein Räum- oder Streufahrzeug in Sichtweite und Marcs Fiesta hat noch keine Winterreifen drauf. Als wir das Ortsschild passieren, liegt die Straße in jungfräulichem Weiß vor uns und wir schleichen mit maximal 30 km/h durch die Nacht. Kein anderes Auto ist in Sichtweite, niemand scheint vor, niemand hinter uns zu sein. Nur zwei- oder dreimal kommt uns ein anderes Auto in ähnlichem Schleichtempo entgegen. Alles ist langsam und gedämpft, wie in Watte getaucht. Draußen wirbeln die Schneeflocken im Lichtkegel der Frontscheinwerfer, und wir halten uns wach, indem wir einander vorschwärmen von den Frauen, in die wir verliebt sind. Als die Müdigkeit zu mächtig wird, bekämpften wir sie mit Rage Against the Machine und kurbeln die Scheiben runter, um uns vom Fahrtwind Schneekristalle ins Gesicht schleudern zu lassen.

Plötzlich, nach 20 oder 25 Kilometern, taucht vor uns ein roter BMW-Kombi auf, der noch langsamer unterwegs ist als wir. „Heckantrieb“, sagt Marc und setzt den Blinker, wechselt die Spur und überholt den BMW mit 30 km/h auf einer Landstraße, auf der in diesem Abschnitt 100 erlaubt sind. Wir jubeln leicht ironisch, als wir am BMW vorbei sind, und jubeln ehrlich erleichtert ein zweites Mal, als wir das Ortsschild unserer Heimatstadt passieren. Alles gut gegangen, denken wir und landen erst zwei Wochen später im Straßengraben, als Marc mit seinem Fiesta beim zweiten Wintereinbruch auf der zarten Schneeschicht, die sich auf die Landstraße gelegt hat, beim Beschleunigen ins Schlingern gerät.

3 Kommentare

Eingeordnet unter Schnipsel

3 Antworten zu “Schnappschuss mit Auto

  1. Cora Koltes

    Eine schöne Geschichte, die mich schmunzeln lässt, Bilder von eigenen Schnee-, usw. Erinnerungen wachruft. Das macht mir gerade gute Laune 🙂

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  2. Wenn ein Text schöne Erinnerungen wachruft, ein Schmunzeln auf die Lippen der Leserin zaubert und gute Laune verbreitet, dann hat sich das Schreiben & Veröffentlichen bereits gelohnt:)

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  3. Danke für die Verkehrshinweise und Pfirsiche mag ich auch liebend gerne zur Jahreszeit

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