Schreiben in Zeiten von Corona

Mehr Zeit zum Schreiben und zum Lesen! Das war ein spontaner Gedanke, der mir kam, als sich Mitte März andeutete, dass der allgemeine Betrieb in den nächsten Wochen deutlich heruntergefahren würde. Und mit diesem Gedanken war ich offenbar nicht allein – auf den ersten Blick erschien vielen die verordnete Zwangspause vom gesellschaftlichen Leben eine willkommene Gelegenheit, sich von der alltäglichen Hektik zu erholen und dieses Zeitfenster, das sich da plötzlich öffnete, zu nutzen, um sich endlich einmal anderen, so oft vernachlässigten Tätigkeiten zuzuwenden. Bei vielen schien diese Stimmung allerdings recht rasch zu kippen, als ihnen bewusst wurde, welche Konsequenzen die Beschränkungen mit sich bringen.

Mir selbst erschien das Weiterarbeiten an eigenen literarischen Projekten als viel zu banal, als überflüssig angesichts der aktuellen Lage, in der viele Menschen existenzielle Kämpfe auszufechten haben bzw. viel mehr und noch härter als sonst arbeiten müssen. Doch zugleich bin ich davon überzeugt, dass auch in einer solchen Krise weitergeschrieben werden muss, auch an Texten, die nichts mit der aktuellen Situation zu tun haben. Für einige ist das Weiterschreiben sogar lebenswichtig, und zwar vor allem für all jene, für die das Schreiben schlicht und einfach ihr Beruf ist, ihre Arbeit, von der sie leben. Dementsprechend gilt es (soweit die Rahmenbedingungen es zulassen) weiterzuschreiben, seine Arbeit fortzusetzen und damit auch eine Form von Normalität aufrechtzuerhalten – auch wenn einem das in manchen Momenten zurzeit absurd vorkommen mag.

Ich selbst habe dennoch in den letzten Wochen nur wenig literarisch geschrieben, bin darauf allerdings finanziell auch kein bisschen angewiesen, da ich momentan in der privilegierten Situation bin, (nach jahrelanger Freiberuflichkeit) festangestellt zu sein – und zwar im Bremer Literaturkontor (mit Sitz in der Villa Ichon, die oben in dem Foto abgebildet ist). Das ist tatsächlich gerade ein großes Glück, und ich freue mich, dass ich im Rahmen dieser Stelle weiterarbeiten und zumindest ein wenig dazu beitragen kann, dass die Bremer Literaturszene weiter aktiv bleibt, nachdem wir wie alle anderen seit Mitte März alle literarischen Veranstaltungen der vergangenen und kommenden Wochen absagen mussten.

Daher möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, ein paar Projekte vorzustellen, die wir aktuell mit dem Literaturkontor umsetzen, damit es literarisch wenigstens ein bisschen weitergeht und wir als institutionell geförderte Einrichtung Bremer Autor*innen im Rahmen von Projekten auch Honorare für ihre Arbeit zahlen können. Vielleicht sind ja auch Projekte dabei, die euch und/oder Menschen ansprechen, die ihr kennt:

1) Schreiben in Zeiten von Corona – Blog mit Bremer Autor*innen

Alle Lesungen sind abgesagt, Buchveröffentlichungen nach hinten verschoben, Schreibworkshops können nicht stattfinden, oder wenn überhaupt, dann nur online. Was bedeutet das für all jene, die mit dem Schreiben ihr Geld verdienen? Wie gehen sie damit um, wenn plötzlich alle Einnahmen wegbrechen und vollkommen unklar ist, wie es weitergehen wird?

Seit dem 14. April (bis zum 22. Mai) berichten sechs Bremer Autor*innen unter dem Motto Schreiben in Zeiten von Corona jeweils eine Woche von montags bis freitags fürs Litko unter:
literaturkontor-bremen.de/corona-blog

Den Auftakt macht die Kinderbuch-Autorin Anna Lott, die zugleich alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen ist. Sie erzählt in den ersten Blog-Beiträgen von ihrem neuen Alltag zwischen Schreiben, Kinderbetreuung und Anträgen auf Corona-Soforthilfe. Außerdem in dem kommenden Wochen mit dabei sind die Autorinnen Corinna Gerhards, Meike Dannenberg und Anke Bär sowie die Autoren Colin Böttger und Jörg Isermeyer.

2) NÄHE in Zeiten von Distanz – Ein Briefaustausch zwischen Betty Kolodzy & Bremer*innen

Wie schafft man Nähe bei einem Abstand von 1,50 bis 2 Metern und Besuchsverbot Sind Kurznachrichten oder Skype die Antwort auf Social Distancing? Oder könnte man, in dieser Zeit des gefühlten Stillstands, nicht gleich auf eine aus heutiger Sicht antiquierte Form der Kommunikation zurückgreifen: auf den Briefwechsel, der durch seine entschleunigte Geschwindigkeit wie das Pendant zum gedämmten Geräuschpegel aktueller Städte erscheint?

Als bekennende Nicht-WhatsApp-Userin wagt sich die Bremer Schriftstellerin Betty Kolodzy in dieses Experiment und freut sich über handgeschriebene oder getippte Post zum Thema „Nähe“, die sie gerne beantwortet. Bei über der Hälfte der knapp 30 bisher erhaltenen Briefe hat sie das bereits erledigt, die weiteren Antworten folgen in den kommenden Tagen.

Weitere Texte, Postkarten, Gedichte, Kurzgeschichten, Miniaturen oder klassischen Briefe bitte an folgende Adresse: Bremer Literaturkontor, Goetheplatz 4, 28203 Bremen, Stichwort: Projekt „Nähe“

3) Lyrik-Hotline gegen die kulturelle Isolation

Öffentliche Lesungen fallen aus – was tun? Ein Buch zur Hand nehmen und selber lesen? Richtig! Sich die Aufzeichnung einer literarische Veranstaltung anschauen? Auch gut! Oder: Lasst euch am Telefon ein Gedicht vortragen, persönlich für euch ausgewählt. Im April ist die Lyrik-Hotline des Literaturkontors mit der Autorin Angelika Sinn besetzt. Dienstags von 18 bis 21 Uhr und donnerstags von 15 bis 18 Uhr erwartet sie euren Anruf – ausgestattet mit einer Auswahl von Gedichten.

Gerne anrufen! Unter dieser Nummer hört ihr ein Gedicht:
0176 53 56 80 84.
Der Anruf ist bis auf die je nach Anbieter und Vertrag anfallenden Mobilfunkgebühren kostenlos

4) Offene Schreibzeit – virtuelle Schreibwerkstatt mit Jutta Reichelt

Seit Januar bietet die Schriftstellerin, Dozentin und Bloggerin Jutta Reichelt in Kooperation mit dem Bremer Literaturkontor jeden dritten Freitag im Monat die ›Offene Schreibzeit‹ an. Dieses Angebot ist eine Einladung an alle, die vor allem eins möchten: Schreiben! Alles andere spielt keine Rolle: Krimi oder Kurzgeschichte, autobiographisch oder fiktiv, keine oder große Schreiberfahrung. Alle, die Lust aufs Schreiben haben, sind herzlich willkommen!

Da in der aktuellen Lage allerdings neben allen Veranstaltungen auch die Schreibwerkstätten nicht stattfinden können, hat Jutta Reichelt die ›Offene Schreibzeit‹ kurzerhand auf ihren (sowieso schon großartigen) Blog verlegt. Dort bietet die Autorin bereits seit dem 20. März montags bis freitags Schreibanregungen an und tauscht sich mit den Teilnehmer*innen ihrer Schreibwerkstatt über das Schreiben aus. An 16 Tagen hat sie dort bereits etliche inspirierende Beiträge gepostet. In dieser Woche hat sie zwar auf einen Zwei-Tages-Rhythmus umgestellt, führt das Projekt aber auch im April konstant weiter.

Zu finden ist die Offene Schreibzeit unter: juttareichelt.com

5) Litko-Schreibwerkstatt für junge Autor*innen online

Auch unsere Schreibwerkstatt für junge Autor*innen findet online statt. Interessierte Jugendliche (im Alter von 14 – 19 Jahren) können sich per E-Mail bei der Projektleiterin Laura Müller-Hennig melden und erhalten daraufhin von ihr eine Schreibanregung. Für daraus entstehende Texte oder Textideen gibt es dann (ebenfalls per E-Mail) ein persönliches Feedback von der Projektleiterin, und eine individuell angepasste zweite Schreibanregung. Mitmachen können alle, die Lust am Schreiben haben, ganz unabhängig von der Textform. Ob Kurzgeschichten, Gedichte, Miniaturen, Songtexte oder anderes – alles ist möglich.

Für alle Jugendlichen, die dabei sein wollen: Einfach eine Mail schreiben an:
laura.mueller-hennig@literaturkontor-bremen.de
Die Teilnahme ist wie immer kostenlos.

6) MiniLit Audio

Diese Woche beginnen wir damit, ein paar Texte aus unserer MiniLit-Reihe als Audioversionen auf unserer Homepage zu veröffentlichen – eingelesen von den jeweiligen Autor*innen. Den Anfang machen Laura Müller-Hennig, Helge Hommers, Janika Rehak und Lui Kohlmann, die eigentlich Ende März gemeinsam eine MiniLit-Lesung im NUNATAK in Blumenthal gehabt hätten. Lauras Text ist bereits online, der von Helge folgt am Montag, und dann nach und nach weitere.

7) „So nimmt man das Leben mit“ Audio

Ebenfalls als Audio online stellen wir Ende April ein paar kurze Texte aus der Anthologie „So nimmt man das Leben mit“, die Angelika Sinn im vergangenen Herbst zusammen mit dem Litko beim Bremer Sujet-Verlag herausgebracht hat. Eigentlich hätten die Herausgeberin, der Verleger und die acht Autor*innen gemeinsam am 28.4. eine von mir moderierte Lesung in der Villa Sponte gehabt, die nun leider verlegt werden muss. Die kleine, von Angelika eingelesene Auswahl soll zumindest ein wenig über die Verlegung hinwegtrösten.

Die Anthologie kann nach wie vor in den Buchhandlungen bestellt werden. Die Buchhändler*innen mussten ihre Läden zwar für die Öffentlichkeit schließen, aber die meisten haben kreative Wege gefunden, ihre Kunden dennoch weiterhin mit Büchern zu versorgen – und ab nächster Woche dürfen die meisten ja voraussichtlich auch wieder öffnen. Hier können Hamsterkäufe zur Unterstützung der lokalen Buchhandlungen also durchaus sinnvoll sein.

Weitere Infos zu den genannten und allen weiteren Projekten des Bremer Literaturkontors findet ihr auf unserer Homepage. Und bei Radio Bremen Zwei gab es übrigens einen schönen Beitrag über den Blog, die Lyrik-Hotline und den Briefaustausch – zu finden unter: https://m.radiobremen.de/bremenzwei/aktuell/bremer-literaturszene-corona-100.html

7 Kommentare

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7 Antworten zu “Schreiben in Zeiten von Corona

  1. Schöner Text, Jens. Kopf hoch, Bleistift gespitzt halten. Ich hoffe, wir treffen uns in nicht so weiter Zukunft in der schönen Villa wieder – oder wie wäre es mit dem Kuckoon, wenn die Grenze zur Neustadt wieder offen ist. Deal?

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    • Deal, lieber Ian – auf einen Tee in der Abendsonne an einem Tischchen vorm Kukoon (wenn sie wieder geöffnet haben). Notfalls auch mit Gesichtsmaske und zwei Metern Abstand. Übrigens lässt man mich als Neustädter noch regelmäßig die Grenze zum Viertel hin und her passieren, weiß allerdings natürlich nicht, ob das umgekehrt auch für die Viertellinis gilt;-)

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  2. Danke und gute Wünsche an alle Schreibenden, Dichtenden und Erzählenden!
    Nähe und Distanz. Erste freie Assoziation:
    Nähe. Nähe die Maske …
    Annähernde Grüße
    Bernd

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    • Schönes Wortspiel:-) Nähen gehört leider nicht unbedingt zu meinen Kompetenzen, daher habe ich mich ans Maskennähen noch nicht rangewagt, weiß aber von vielen anderen, dass sie da aktiv sind – wie z.B. das Bremer Theater, das dafür offenbar auch sehr viele Stoffspenden erhalten hat. Danke für die Rückmeldung und herzliche Grüße nach Nürnberg!

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  3. Cora Koltes

    Danke für die Infos! Ich habe bereits ein bisschen gestöbert, z.B. in dem Blog mit Bremer Autor*innen… Ich hatte mich ohnehin bereits gefragt, wie es wohl in dieser komischen Zeit im Bremer Literaturleben weitergeht. Auch finanziell, für die Selbstständigen/Künstler.
    Für mein Leben kann ich sagen: es ist so wohltuend zu spüren, dass soziale Kontakte trotz Ferne funktionieren. Mir ist soo viel kreative Hilfsbereitschaft zuteil geworden als ich erfahren habe, dass meine befristete Stelle nicht verlängert wird. Das bringt mir total viel Energie und Mut positiv in die Zukunft zu schauen.
    Ich hoffe, dass es vielen Menschen so ergeht, dass sie spüren, nicht allein zu sein. Spüren, nicht verzweifeln zu müssen.
    Ich finde, die vorgestellten Projekte sind eine gute Möglichkeit, den vielleicht beängstigenden Alltag hinter sich zu lassen.

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    • Danke für die sehr persönliche Rückmeldung! Nicht verlängerte Stelle ist natürlich nicht schön (tut mir leid, das zu hören), aber umso schöner, dass es da ganz viel Hilfsbereitschaft aus dem Umfeld gibt. Die vielen Solidaritätsaktionen, die es momentan gibt, sind teilweise tatsächlich sehr berührend. Für die Bremer Autor*innen/Künstler*innen ist es zurzeit für wie so viele extrem schwierig. Von einigen weiß ich, dass sie bereits die Corona-Soforthilfe vom Land Bremen erhalten haben, was eine sehr gut Sache ist. Aber natürlich reicht das Geld nicht für alle, einige fallen durchs Raster, müssen Grundsicherung beantragen oder ihre Ersparnisse aufbrauchen, andere versuchen sich mit Nebenjobs über Wasser zu halten. Hinzukommt die große Unsicherheit, wie es weitergeht, wann wieder Veranstaltungen und Projekte möglich sein werden etc. Mal schauen und versuchen, soweit möglich das Beste daraus zu machen, auch wenn das natürlich einfacher gesagt als getan ist – aber viele reagieren bereits seit Wochen mit kreativen Ideen und Projekten auf die Situation, das gibt einem tatsächlich Hoffnung. Herzliche Grüße

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  4. Cora Koltes

    Danke, Grüße zurück 🙂

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