Tagebuchnotiz 12, Paris, Juli 2010
Morgens am Seine-Ufer gegenüber von Notre-Dame unter dem schattenspendenden Geäst der Bäume. Ein Frachter und ein Touristenboot ziehen vorüber, die Schiffsmotoren brummen beruhigend monoton, Wellen klatschen an die Quaimauer, dann wieder Stille, nur aus der Ferne der Klang einer Trompete, jemand spielt „When the Saints go marching in“, während am gegenüberliegenden Ufer ein Mann in den Fünfzigern mit freiem Oberkörper und mehr Haaren auf der Brust als auf dem Kopf skurrile Gymnastikübungen macht, seine hautenge rote Shorts leuchtet dabei in der Sonne, zieht die Blicke der vorüberspazierenden Touristen auf sich, die den Sporttreibenden wie ein seltenes Insekt bestaunen; und wieder schiebt sich ein Frachter ins Bild, erneut ein Boot mit Touristen, die ihre Kameras in die Höhe strecken, aus der Ferne klingt immer noch „When the saints go marching in“ herüber, Wind kommt auf, Blätter segeln in die Seine hinab, Möwen stürzen sich kreischend auf ein Stück Brot, das im Wasser treibt, irgendwo heult eine Alarmsirene auf, Autos hupen, und plötzlich wird alles übertönt von Notre-Dames Glocken, deren Klang anschwillt und für eine Weile alle anderen Geräusche beiseitewischt … dann wieder das Brummen eines Schiffsmotors, das Kreischen einer Möwe, die Hupe eines Autos, das Rascheln der Blätter über mir …