An der Wilhelm-Kaisen-Brücke sitze ich im Piero, einem kleinen Bistro, das vor einem halben Jahr noch ein Imbiss war, der Kleine Weser hieß – ein passender Name, denn wenn man hinausschaut, kann man auf den schmalen Seitenarm der Weser blicken. Vor allem jedoch hat man freien Blick auf die Brücke, das St.-Pauli-Stift und die Kreuzung mit dem Ostersonntagabendverkehr: ein sachter Autostrom, hin und wieder eine Straßenbahn, einige Fahrradfahrer und viele Fußgänger – Paare (Hand in Hand), kleine Gruppen, Familien, einzelne Spaziergänger; ein junger Mann in Schwarz mit einer Spiegelreflexkamera in der Hand, eine Frau mittleren Alters in hautenger Jeans mit einem Mobiltelefon am Ohr, ein Einbeiniger auf Krücken, für den die Grünphase der Ampel zu kurz ist, um die breite Straße mit den Auto- und Straßenbahnspuren komplett zu überqueren, weshalb er vor der letzten Spur auf der Verkehrsinsel stehen bleiben und seinen Hund zurückpfeifen muss, damit er nicht von den ersten anfahrenden Autos erfasst wird. Der Spitzmischling, der den Plastikgriff seiner Leine im Maul trägt, hält sofort inne und sieht sich nach seinem Herrchen um. Beide warten sie, bis die Autos vorübergerauscht sind, und überqueren dann gemeinsam die Spur. Der Hund läuft wieder voraus, sein Herrchen humpelt hinterher, die anderen Passanten blicken ihnen nach – dem Einbeinigen und dem Hündchen, das seine eigene Leine trägt und bei jedem Kommando seines Herrchens sofort pariert, sich immer wieder umschaut und wartet, wenn sein Herrchen zu weit zurückfällt.
Auch ich schaue den beiden hinterher, bis mein Nudelauflauf vom Betreiber des Bistros serviert wird. Ich bin der einzige Gast, die anderen acht oder neun Stühle sind leer, und der vielleicht knapp fünfzigjährige Betreiber berichtet, dass am Wochenende eigentlich seine besten Tage seien.
„Die sind wohl alle auf der … auf der … wie heißt der Jahrmarkt hinterm Bahnhof?“
„Osterwiese.“
„Ja, sind wohl alle auf der Osterwiese“, sagt er, „oder weg über das Wochenende.“
Ich nicke.