Meine Insellektüre – Der Esoterikheini und seine Kokosnuss

kracht Imperium

Christian Krachts Roman „Imperium“ dockt an einer realen Figur an und erzählt in einem flotten Stil mit viel Ironie eine irrsinnige Aussteigergeschichte aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, die mich während meiner ersten Tage auf Sylt bestens unterhalten und des Öfteren zum Lachen gebracht hat – als Satire auf einen abgedrehten Insulaner und übersteigerten Idealismus die ideale Insellektüre.

August Engelhardt hat die Nase voll, vom Deutschen Reich, der Moderne, der Zivilisation und jenen, die das alles in die Welt gesetzt haben – den Menschen. Also nichts wie weg aus dem gar nicht so guten alten Europa und ab in die Südsee, genauer gesagt: nach Neupommern, dem heutigen Neubritannien, das Anfang des 20. Jahrhunderts als Kolonie dem Deutschen Reich angehörte. Und in eben jene Zeit hat Christian Kracht die Handlung seines Romans „Imperium“ verlegt – wobei Zeitraum sowie Handlungsschauplatz im Prinzip vorgegeben waren, da Krachts Protagonist ein reales Vorbild gleichen Namens hat.

Der 1875 geborene August Engelhardt war ein früher Aussteiger, der von der Lebensreformbewegung inspiriert dem Vegetarismus und Nudismus frönte – eine Lebensweise, die sich im Deutschen Reich freilich nicht so leicht im Alltag praktizieren ließ. Daher reiste Engelhardt 1902 nach Deutsch-Neuguinea und kaufte dort eine Plantage auf der Insel Kabakon, wo er jenseits aller zivilisatorischen Zwänge seine Vorstellungen eines naturverbundenen Lebens umzusetzen versuchte und sich vor allem von Kokosnüssen ernährte. Die Kokosnuss galt Engelhardt als die „vollkommenste Nahrung“ für den Menschen, und wer dem Kokovorismus huldigte und sich der reinen Kokosdiät unterzog, dem winkten angeblich Weisheit, Unsterblichkeit und die Vereinigung mit Gott.

Wie dem auch sei, diesen Esoterikheini hat Kracht jedenfalls zur Hauptfigur seines Romans gemacht. Er erzählt von Engelhardts Überfahrt und Anfängen in Neupommern, seinem quasi religiösen Wahn, seinen Versuchen, mit Werbeschriften Jünger für seinen von ihm gegründeten Sonnenorden nach Kabakon zu locken, und von seiner Unfähigkeit, sich auf Dauer mit Menschen zu vertragen, da er von Unsicherheiten, Ängsten und einem enormen Minderwertigkeitskomplex zerfressen ist.

Ob dieses Porträt viel mit dem realen Engelhardt gemein hat, ist sekundär, denn Kracht hatte offensichtlich gar nicht den Anspruch, einen historischen Roman zu verfassen, der sich möglichst nah an der Realität bewegt, sondern spielt frei mit den Fakten, dichtet dazu, lässt weg und erfindet die Biografien von Nebenfiguren, die auf reale Vorbilder zurückgehen, einfach neu – und das alles mit einem so fantasievollen Witz und einer Verve, dass es eine Lust ist.

In den Buch wimmelt es nur so vor famosen Details und prächtigen Szenen. Ob er in einer Rückblende Thomas Mann zum Denunzianten macht, der den nackt am litauischen Dünenstrand herumstromernden Nudisten bei der Polizei anzeigt, oder ob er Engelhardt auf einen anderen Esoteriker treffen lässt, der behauptet, er ernähre sich ausschließlich vom Sonnenlicht – stets zeichnet Kracht in einer flotten Sprache mit präzisen Strichen plastische Szenen, die oft vor Skurrilität nur so strotzen. Überhaupt ist „Imperium“ ein sehr komisches Buch, dessen Komik sich aus dem Irrsinn speist, der beinahe allen Figuren einverleibt scheint und die Welt offenbar am Laufen hält.

Wohin dieser Irrsinn führen kann, das zeigt Krachts ebenso kluge wie unterhaltsame Abenteuersatire ebenfalls, indem er das Handlungsgeschehen in den Ersten Weltkrieg münden lässt; denn bei aller Ironie, derer sich Kracht in deftigen Portionen bedient, wohnt dem Roman auch ein dunkler Kern inne, der über den Ersten Weltkrieg hinaus darauf verweist, wohin Irrglaube und Fanatismus führen können, wenn Menschen in Zeiten des Umbruchs nach Sinn und Orientierung lechzen.

Christian Kracht: Imperium. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 256 Seiten, 18,99 €.

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