Christian Kracht erzählt in seinem neuen Roman mit Witz von der Kinowelt der 30er
Ob Charlie Chaplin jemals spätnachts schlecht gelaunt und trunken einen japanischen Kinomacher vom Deck eines Dampfers in den Pazifik geschubst hat, ist nicht überliefert, darf jedoch bezweifelt werden. Aber historische Fakten interessieren den Schweizer Schriftsteller Christian Kracht nur bedingt, historische Persönlichkeiten dafür umso mehr. Bereits in seinem viel diskutierten Roman „Imperium“ (2012) tummelt sich allerlei der Zeitgeschichte entliehenes Personal – allen voran der Vegetarier und Nudist August Engelhard, der Anfang des 20. Jahrhunderts auf Deutsch-Neuguinea dem Kokovorismus huldigte. Und so wie Kracht in dieser Aussteigersatire frei mit den Fakten hantiert und munter dazudichtet, so dienen ihm auch in seinem aktuellen Roman reale Ereignisse und Personen lediglich als Kulisse und Knetmasse für sein verspieltes Werk.
In „Die Toten“ taucht der einstige Popliterat („Faserland“, 1995) in die Kinowelt der frühen 30er ab und lässt dafür neben Chaplin auch Lotte Eisner, Siegfried Kracauer und Heinz Rühmann auftreten. Sie alle sind indes bloß Nebenfiguren, denn die Protagonisten des Romans sind der fiktive Schweizer Regisseur Emil Nägeli und der japanische Kinomacher Masahiko Amakasu. Nägeli reist im Auftrag des UFA-Tycoons Alfred Hugenberg nach Japan, weil er dort einen propagandistischen Vampirfilm drehen soll. Nägeli beabsichtigt jedoch nicht, dieses Werk tatsächlich zu realisieren, sondern möchte in Tokio vor allem seine Verlobte wiedersehen. Die vergnügt sich dort derweil mit der zweiten Hauptfigur, mit Masahiko Amakasu, einer leicht zwielichtigen Gestalt, die im Geheimen mit den Deutschen kooperiert, um dem amerikanischen Kulturimperialismus etwas entgegenzusetzen.
Der Kampf zwischen den Großmächten auf der Kulturebene ist das eigentliche Thema des Romans, ohne dass Kracht dabei auch nur ansatzweise theoretisierend wird. Stattdessen erlaubt er sich den literarisch wagemutigen Kniff, sich bei der Komposition seines Romans am japanischen Nō-Theater zu orientieren: Kracht baut seine beiden Helden im ersten Kapitel mit ruhiger Hand verheißungsvoll auf, steigert dann im zweiten mit viel Verve und Witz rasant das Tempo und kommt in einem knappen, mit Überraschungen gespickten dritten Kapitel rasch zum Abschluss. Das abrupte Ende verkürzt den Lesegenuss bedauerlicherweise, passt aber durchaus zur Eigenwilligkeit des Erzählkünstlers Christian Kracht.
Christian Kracht: Die Toten. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 224 Seiten, 20,00 €.