Noemi Schneider, Flurin Jecker und Fatma Aydemir legen ihre literarischen Debüts vor
Inmitten der Flut an Neuerscheinungen bereits etablierter Autoren gehen Debütanten manchmal komplett unter. Diesem Schicksal wollen die 34-jährige Noemi Schneider, der 26-jährige Flurin Jecker und die 30-jährige Fatma Aydemir möglichst entgehen – alle drei müssen sich in diesem Frühjahr erstmals auf dem Buchmarkt behaupten.
Zwischen Gesellschaftssatire und Selbstbespiegelungsgejammer
Für die Journalistin Schneider ist der Buchmarkt allerdings nicht ganz neu – mit ihrem zum gleichnamigen Dokumentarfilm erschienenen Sachbuch „Kick it, Walaa!“ und ihrem Essay „Oh Boy, ich hasse Rot“ hat sie bereits Publikationen vorgelegt. Mit „Das wissen wir schon“ ist nun ihrer erster Roman erschienen, der im teils lakonischen, teils satirisch überdrehten Ton von der Sinnkrise einer Mittdreißigerin erzählt. Die Icherzählerin – eine Dokumentarfilmerin, die momentan im Supermarkt jobbt – ist frustriert. Früher war sie radikal, kämpferisch und voller Träume. Heute fühlt sie sich bloß noch überfordert und sehnt sich nach einer Auszeit. Ihre politisch engagierte Mutter kämpft hingegen für das Aufenthaltsrecht eines Jugendfreunds der Icherzählerin. Dieser hat sich vom Mustermigranten zum Islamisten gewandelt und soll im Gartenhaus der Mutter reintegriert werden – und zwar möglichst öffentlichkeitswirksam, denn die Medien reißen sich inmitten der Flüchtlingsdebatte um die Story. So entwickelt sich eine Geschichte zwischen Gesellschaftssatire und Selbstbespiegelungsgejammer, die einen etwas ratlos zurücklässt. Der Roman ist zwar mit seinen Themen in der Gegenwart verankert und entwickelt mit seinem trockenen Humor in manchen Passagen durchaus Witz, allerdings mangelt es ihm an Tiefe.
Kiffen gegen Orientierungslosigkeit
Ebenfalls im Heute angesiedelt ist der schmale Roman „Lanz“, mit dem der Schweizer Flurin Jecker sein Studium des Literarischen Schreibens in Biel abgeschlossen hat. Jecker erzählt die Geschichte des 14-jährigen Lanz, der in Lynn verliebt ist und in der Projektwoche den Kurs „Ich schreibe einen Blog“ wählt, weil er da auf die Angehimmelte zu treffen glaubt. Lynn taucht aber am ersten Tag nicht auf und Lanz kanalisiert seinen Frust produktiv, indem er seinen Blog zu füllen beginnt. Diesen Blog, der nichts anderes als ein Tagebuch ist, bekommt man als Leser im Umgangston dieses Schweizer Teenagers präsentiert. Der Duktus irritiert und beginnt rasch zu nerven – literarische Perlen sucht man hier genauso vergebens wie gewitzte Dialoge oder spannende Szenen. Die Story ist altbekannt: Lanz hat Stress mit seinen Eltern und den Lehren, wird von Liebeskummer geplagt, zockt Computerspiele, kifft gegen seine Orientierungslosigkeit an und haut von zu Hause ab. Das ist alles in allem eher lahm und ohne übergreifende Relevanz.
Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit
Ganz anders verhält es sich mit dem Debüt der 1986 in Karlsruhe geborenen Journalistin Fatma Aydemir. Die Protagonistin ihres Romans „Ellbogen“, die 17-jährige Hazal Akgündüz, lebt mit ihren aus der Türkei eingewanderten Eltern und ihrem Bruder in Berlin. Obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, fühlt sie sich hier oft fremd. Täglich ist sie mit Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit konfrontiert. Hinzu kommen die strengen Eltern, die es ihr nicht erlauben, sich frei zu entfalten, sich zu verlieben und einen Freund zu haben. Dementsprechend staut sich eine Menge Wut in Hazal auf, die sich genau an ihrem 18. Geburtstag entlädt, nachdem ihr in einer Szene-Disco zusammen mit ihren beiden besten Freundinnen der Einlass verwehrt wird, während die jungen spanischen und französischen Touristen munter hereingewunken werden. Alkoholisiert reagiert das Trio in einer U-Bahn-Station auf eine plumpe Anmache eines Studenten mit extremer Gewalt. Als Hazal die Folgen ihrer Tat begreift, flieht sie nach Istanbul. Dort ist der zweite Teil des Romans angesiedelt, in dem Hazal vor neuen Herausforderungen und einer nicht minder trostlosen Zukunft steht.
In einer authentischen, teils ruppigen Sprache gelingt es Aydemir, eine Biografie zu entfalten, die auf jene Probleme verweist, mit denen sich viele Jugendliche herumschlagen müssen, die sich Tag für Tag zwischen zwei Kulturen aufreiben. Für viele von ihnen scheint es in der Gesellschaft keinen Platz zu geben; und im Dunst dieser Perspektivlosigkeit gärt der Frust, der sich plötzlich in einer Kurzschlussreaktion entladen kann. Somit ist „Ellbogen“ sicherlich eines der spannendsten und zugleich relevantesten Debüts in diesem Frühjahr – ein Erstling also, der sich auf dem Büchermarkt behaupten dürfte.
Noemi Schneider: Das wissen wir schon. Hanser, Berlin. 192 Seiten, 18,00 €.
Flurin Jecker: Lanz. Nagel & Kimche, Zürich. 128 Seiten, 18,00 €.
Fatma Aydemir: Ellbogen, Hanser, München. 272 Seiten, 20,00 €.