Und so war es in diesem Jahr bei der Eröffnungsgala von poetry on the road.
Am Freitagabend gab es den offiziellen Startschuss für das 18. internationale Literaturfestival „poetry on the road“ im Bremer Theater
Am Anfang steht eine Art Klagegesang. Arabische Verse, die von vertriebenen, ausgebeuteten und im Meer ertrinkenden Menschen berichten. Es sind eindringliche Bilder, die der 38-jährige syrisch-schwedische Dichter Ghayath Almadhoun in seinem teils dialogisch angelegten Langgedicht kreiert. Er schildert eine globalisierte Welt, in der Diamanten- und Waffenhandel, Wohnblöcke zertrümmernde Bomben, Asylsuchende und im Mittelmeer treibende Leichen nicht voneinander zu trennen sind. Es ist ein ebenso berührender wie bedrückender Auftakt eines Schriftstellers, der selbst in einem Flüchtlingslager geboren wurde und seine Lesung seinem zwei Tage zuvor getöteten Onkel widmet.
Der Auftritt dauert nur knapp 15 Minuten und gerne ließe man diese intensiven Verse ein paar Minuten nachwirken; doch Almadhoun ist bloß einer von acht Autorinnen und Autoren, die an diesem Abend Auszüge aus ihrem Werk darbieten. Wie in jedem Jahr präsentieren die Organisatoren Regina Dyck und Michael Augustin bei der Eröffnungsgala des Internationalen Literaturfestivals „poetry on the road“ im Bremer Theater am Goetheplatz ein dichtes Programm, bei dem sich die Poeten quasi die Klinke in die Hand geben. Und so folgt mit Adam Zagajewski sogleich der nächste Protagonist. Der 71-jährige Pole gilt in seinem Land als moderner Klassiker, wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und wird seit Jahren als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis gehandelt.
Überraschenderweise liest er seine sieben Gedichte jedoch nicht auf Polnisch, sondern auf Deutsch. Der Großteil des Publikums dürfte sich darüber freuen – jene jedoch, die kein Deutsch verstehen, bleibt die lebenskluge und bilderreiche Poesie verschlossen. Während es beim Vortrag von Almadhoun per Videoleinwand neben der deutschen eine englische Übersetzung gibt, fehlt diese sowohl bei Zagajewski als auch bei allen anderen, die auf Deutsch lesen. Das ist fragwürdig bei einem Festival, das sich Internationalität auf die Fahnen schreibt, seinen fremdsprachigen Gästen aber bei vier von acht Vorträgen die Möglichkeit verwehrt, das Gelesene nachzuvollziehen. Unverständlich bleibt für die Gäste somit auch das kurze Gespräch zwischen der Moderatorin Silke Behl und dem 78-jährigen Büchnerpreisträger Volker Braun. Dass Braun sich noch immer als politischer Autor versteht, wird schnell deutlich, wenn er sich in seinen Gedichten mit Themen wie Klimawandel, Migration und Mindestlohn auseinandersetzt.
Während bei Brauns Vortrag der Inhalt seiner Lyrik stark im Vordergrund steht, rückt dieser bei der Performance des indonesischen Poeten und Schamanen Samar Gantang ein wenig in den Hintergrund. Seine Lesung gleicht einer spirituellen Zeremonie. Während Räucherstäbchen abbrennen, setzt der 68-Jährige seine Lyrik mit freiem Oberkörper theatral in Szene. Er wippt auf und ab, scheint mit Dämonen zu ringen und rezitiert dabei im lautstarken Singsang. Es ist Gantangs erster Auftritt überhaupt in Europa und seine Performance steht im starken Kontrast zu allen anderen Lyrik-Präsentationen an diesem Abend.
Nach der Pause geht es mit Connie Palmen und der einzigen Prosa-Darbietung der Eröffnungsgala weiter. Die Grande Dame der niederländischen Literatur widmet sich in ihrem aktuellen Roman „Du sagst es“ der amerikanischen Lyrikerin Sylvia Plath und deren Ehe mit Ted Hughes. In einer Art fiktiven Autobiografie schildert sie einfühlsam die leidenschaftliche Beziehung der beiden aus Sicht von Hughes, der vielen nach Plaths Suizid im Jahr 1963 als Verräter galt, während die Poetin zur Märtyrerin stilisiert wurde.
Nachdem auch Connie Palmen auf Deutsch gelesen hat, folgen mit Simon Armitage und Zena Edwards noch zwei Briten, die ihre Lyrik auf Englisch präsentieren (natürlich mit deutscher Übersetzung auf der Videoleinwand). Dazwischen gibt es noch ein bisschen Ruhrpott-Klamauk-Dichtung aus der Feder des Bochumer Kabarettisten Fritz Eckenga, die man sich nicht zuletzt aufgrund der Gesamtlänge des Abends (dreieinhalb Stunden!) ruhig hätte schenken können. Vor allem da unmittelbar zuvor Armitage mit seinen unglaublich trockenen, schwarzhumorigen und zugleich tiefsinnigen Gedichten bereits für ausgiebiges Gelächter gesorgt hat. Ob die alljährliche Büroweihnachtsfeier eines Dichters, To-do-Listen oder ein umgetretener Pilz im Mittelpunkt stehen, stets verknüpft der Oxforder „Professor of Poetry“ auf geniale Weise das Profane mit dem Philosophischen.
Dass die Festivalleitung insgesamt ein feines Händchen bei der Auswahl und vor allem auch bei der Reihenfolge bewiesen hat, unterstreicht nicht zuletzt der abschließende Act der Spoken-Word-Performerin Zena Edwards, die mit ihrer ebenso bilderreichen wie rhythmischen Wortkunst, ihrem kraftvollen Gesang und ihrer Präsenz noch einmal das Publikum mitreißt, bevor eine weitere äußerst gelungene Auftaktfeier der Poesie zu Ende geht.