Schlagwort-Archive: Thomas Lehr

9/11

Gerade einen knappen Monat haben wir die Wohnung unterm Dach in der Wulfhoopstraße, meine Freundin und ich, als morgens das Telefon klingelt. Ein Freund, der ein paar Straßen weiter wohnt, ist am Apparat – der wirklich noch ein Apparat ist (mit Kabel und so), fragt, ob wir das schon mitgekriegt hätten. Was denn?, frage ich. In New York, sagt er, in New York sei ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen. Habe er eben im Radio gehört. Ob er vorbeikommen könne, um die Nachrichten im Fernsehen zu schauen.

Ja, sage ich, klar, soll er machen, bis gleich. Im Gegensatz zu ihm haben wir einen Fernseher, wenn auch nur eine kleine alte Kiste ohne Fernbedienung, die meistens unbenutzt in der Ecke steht. Ich schalte den Fernsehapparat an. Meine Freundin steht neben mir, fragt, was los sei, doch da flimmern schon die rauchenden Türme über den Bildschirm.

Zu dritt sitzen wir schließlich einige Minuten später auf dem Sofa, sehen immer wieder das Flugzeug, den Rauch, die aus dem Turm springenden Menschen, die einstürzenden Zwillingstürme und die vor dem Rauch und den Trümmern durch die Straßen New Yorks Davonstürmenden.

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Überall die Sonne

Thomas Lehr fokussiert in seinem kunstvollen Erzählpanorama „Schlafende Sonne“ einen Tag und zugleich ein ganzes Jahrhundert

Dieses Buch scheint eine Zumutung zu sein. Über 630 eng bedruckte, absatzlose Seiten voller Perspektivwechsel und assoziativer Sprünge zwischen verschiedenen Zeitebenen. Doch wenn man die ersten 30 bis 40 Seiten bewältigt hat, beginnt der Roman plötzlich einen Sog zu entwickeln – und zwar durch die Biografien, die sich allmählich in diesem dichten Textgewebe entfalten. Da ist zum einen die Lebensgeschichte der Künstlerin Milena Sonntag, die im Berlin des Jahres 2011 ihre große Ausstellung „Schlafende Sonne“ eröffnet. Diese Vernissage ist nicht nur ein besonderes Ereignis im Leben von Milena, sondern vor allem der Ausgangspunkt für alle weiteren Erzählstränge, denn in einer Art Retrospektive blickt die erfolgreiche Künstlerin zurück auf ihr Leben. Unterwegs zu der Ausstellungseröffnung, die im Morgengrauen stattfindet, ist auch Milenas Mann Jonas, ein Solarphysiker, der sein Leben der Erforschung der Sonne gewidmet hat.

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