Meine schönste Weihnachtsmann-Erinnerung, die eigentlich eine Nikolaus-Erinnerung ist, stammt aus meinen Studententagen, als ich jedes Jahr in der Weihnachtszeit als Weihnachtsmann gejobbt habe, und manchmal eben auch als Nikolaus – allerdings im identischen Weihnachtsmannkostüm, was mich damals wohl selbst ein wenig verwirrt hat. Jedenfalls war ich an jenem Nikolausabend von einer Gruppe Mütter gebucht worden, die sich regelmäßig trafen, um gemeinsam mit ihren 4 – 6-jährigen Kindern schwimmen zu gehen. Dieses Mal waren sie jedoch nicht zum Schwimmen zusammengekommen, sondern um den Nikolaus zu empfangen, der dummerweise nach dem Öffnen der Haustür zwar gutgelaunt mit seinem Glöckchen bimmelte, allerdings als Erstes voller Inbrunst mit tiefer Stimme die Versammelten mit folgendem Satz begrüßte: Ho, ho, ho, hier kommt der Weihnachtsmann … äh Nikolaus.
Kritische Blicke der Mütter (was haben wir denn da für eine Gurke gebucht). Kein idealer Auftakt, aber die Kinder schienen nichts gemerkt zu haben, sondern starrten mit aufgerissenen Augen auf den dicken, weißbärtigen Mann im roten Mantel oder liefen panisch zurück ins Haus, versammelten sich jedoch alle kurz darauf – manche fröhlich, andere ehrfürchtig distanziert – nach und nach um den Mann, der also der Nikolaus sein sollte und nun auf einem IKEA-Klappstuhl vor ihnen saß und unter seinem Mantel die üppig gepolsterten Klamotten vollschwitzte (was die Kinder natürlich nicht bemerkten).
Ich schlug mein goldenes Büchlein auf und schaute nach, was da so Lobens- und Rügenswertes über die anwesenden Kinder notiert war (Weihnachtsmänner und Nikoläuse haben nämlich stets auch einen Erziehungsauftrag, der ihnen vorab in Telefongesprächen von den Eltern übertragen wird).
Nachdem ich zu allen Kindern einige liebe und ein paar mahnende Worte gesprochen hatte, kam ich zu meinem letzten Programmpunkt: dem Vorlesen eines Weihnachtsmärchens. Da die Kleinen alle ziemlich aufgekratzt waren, hatte ich die Sorge, dass die Geschichte zu lang sein könnte, und sagte deshalb vorweg, dass sie Bescheid geben sollten, wenn ihnen die Geschichte zu lang würde. Kaum hatte ich fünf Sätze gelesen, riss einer der Knirpse seine Arme in die Höhe und rief: Zu lang!
Ich schaute in die Runde: Alle Kinder starrten mich mit großen Augen und offenen Mündern an, bei den Müttern ein ähnliches Bild. Niemand widersprach dem aufmüpfigen Knirps, also klappte ich mein Büchlein zu, fasste die Geschichte in wenigen Sätzen zusammen, betonte die Moral des Ganzen (irgendwas von der Bedeutung guter Freunde, die auch in Krisenzeiten zusammenhalten) und beendete dann (etwas früher als geplant) meinen Besuch.
An der Haustür versprach der schweißgebadete Nikolaus den Versammelten, den Weihnachtsmann ganz herzlich von ihnen zu grüßen. Bevor er sich endgültig verabschiedete, wünschte er allen eine frohe Weihnachtszeit, nahm nebenbei einen mit Scheinen gefüllten Briefumschlag entgegen, bimmelte mit seinem Glöckchen und rief noch einmal: Ho, ho, ho! Dann stapfte er in den Hemelinger Abend hinaus, während sieben oder acht Knirpse ihm fleißig hinterherwinkten und immer wieder riefen: Tschüss, lieber Nikolaus! Tschüss, bis zum nächsten Jahr!