Heinz Strunk ist wieder auf Lesereise. Sicherlich ein Erlebnis, wenn auch manchmal ein recht fragwürdiges – so wie im vergangenen Jahr, als er seinen eigentlich beeindruckenden Roman „Der goldene Handschuh“ in einer Ulk-Performance verhunzt hat.
Verwandlung eines Romans
„Hey, Fleisch ist mein Gemüse“, so habe ihn vor Kurzem irgendein Fremder in der Kneipe angequatscht. Ohne Begrüßung oder Anrede habe der ihm einfach nur den Titel seines Erfolgsromans an den Kopf geworfen, erzählt Heinz Strunk zu Beginn seines Auftritts im Bremer Schlachthof. Ihm selbst behagt das nicht, auf ein Buch reduziert zu werden, dessen Veröffentlichung bereits zwölf Jahre zurückliegt. Allerdings war sein stark autobiografisch gefärbtes Debüt ein Besteller, der sich eine halbe Million Mal verkauft hat und 2008 verfilmt wurde. Dieses Buch ist der Ausgangspunkt für die Erfolge des Musikers, Entertainers und Schriftsellers, der mit bürgerlichem Namen Mathias Halfpape heißt. Mittlerweile kennen ihn viele auch durch seine Auftritte bei Extra 3, die Telefonstreiche mit Studio Braun oder aus der Fake-Dokumentation „Fraktus“.
In der ausverkauften Kesselhalle ist Strunk zu Gast, um seinen aktuellen Roman „Der goldene Handschuh“ vorzustellen, der deutlich weniger komisch als seine anderen Bücher daherkommt. Im Zentrum der Handlung steht eine Person aus der Zeitgeschichte: der Serienmörder Fritz Honka, der in den Siebzigern in Hamburg im Vollrausch vier Frauen getötet, zerstückelt und die Überreste teilweise in seiner Wohnung versteckt hat. Hauptschauplatz ist die ebenfalls real existierende Kneipe „Der goldene Handschuh“ auf St. Pauli. Neben allerlei gescheiterten Existenzen wie Soldaten-Norbert, Leiche oder Fanta-Rolf säuft sich hier auch der Hafenarbeiter Honka regelmäßig ins Delirium, immer in der Hoffnung, irgendwann sein Glück zu finden – zum Beispiel eine Frau, mit der sich ein stinknormales Leben beginnen ließe. Mit den Frauen, die er dann aber in seine muffige Bruchbude schleppt, ist kein Neustart in Sicht. Ihr Leben scheint genauso von Gewalt, Elend, Suff und Einsamkeit geprägt wie sein eigenes.
Stunks neues Werk ist überraschend ernsthaft und düster; etliche Suff- und Sexszenen kratzen mächtig an der Schmerzgrenze des Erträglichen, was den Erzählton jedoch umso authentischer wirken lässt. Kein Wunder also, dass der Roman in den Feuilletons fast durchgehend als gelungene Milieustudie gefeiert und Anfang des Jahres gar für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde. Damit ist Strunk plötzlich im seriösen Literaturbetrieb angekommen. Dementsprechend neugierig durfte man am Donnerstagabend auf die Lesung des 54-Jährigen sein. Wie würde das zusammengehen, diese derb-düstere True-Crime-Literatur und der Sprücheklopfer Strunk?
Strunk beginnt, wie man das von ihm kennt: Er füttert sein Publikum mit Pointen. In einer humorvollen Einleitung entschuldigt er sich dafür, dass er dieses Mal nichts Autobiografisches geschrieben habe, sondern harten Tobak aufbiete. Die letzten Lacher im Publikum sind noch nicht verklungen, da beginnt Strunk mit seiner Lesung, und es wird rasch deutlich, dass er sich seine Rechtfertigungsrede hätte sparen können, denn er liest nicht einen Auszug aus seinem Roman, sondern eine auf 90 Minuten eingedampfte Zusammenfassung. Darin setzt er vor allem auf die Passagen, die sich offenbar auch so lesen lassen, als sei die komplette Geschichte eine schwarze Komödie. Strunk drückt aufs Tempo, betont die Pointen, verstellt seine Stimme bei wörtlicher Rede und setzt sich später gar eine Kapitänsmütze auf, als er das Kalauer-Feuerwerk einer Hafenrundfahrt abbrennt.
Das Publikum dankt es ihm mit zahllosen Lachern. Manch einer, der die 250 Originalseiten bereits gelesen hat, ist allerdings irritiert, denn die einfühlsame Milieustudie, die ihren Figuren in ihrer Ohnmacht viel Verständnis entgegenbringt, verwandelt sich durch Strunks Performance in eine Art Comedy-Show, in der sich der Autor über sein Romanpersonal zu amüsieren scheint. Die Lesung mag dadurch vielleicht an Komik gewinnen, verliert jedoch zugleich drastisch an literarischer Qualität. Strunk scheint die Erwartungen seiner Fans nicht enttäuschen zu wollen, verulkt sein eigenes Buch und entschuldigt sich am Ende noch einmal dafür, dass sein aktueller Roman nicht wie sonst auf Pointen angelegt sei. Angesichts der dargebotenen Show wirkt diese Entschuldigung schon fast ein wenig grotesk.