Unsentimental berichtet Ulrike Edschmid von einer besonderen Liebe
Zwei Liebende wollen einen neuen Lebensabschnitt beginnen, indem sie zusammenziehen. Eine geräumige Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg ist bereits gefunden, muss aber noch renoviert werden. Während die Frau ihrer Arbeit wegen verreist, will der Mann im neuen Domizil eine Ecke unter der Decke ausbessern, gerät auf der Klappleiter ins Wanken und stürzt in die Tiefe. Er werde nie wieder gehen können, prognostizieren die Ärzte, doch der Mann gibt nicht auf und betritt schließlich Wochen später die neue Wohnung mithilfe von Krücken. Der Aufbruch in das neue gemeinsame Leben ist natürlich dennoch ein anderer als ursprünglich geplant. Vieles von dem, was früher selbstverständlich war, ist nicht mehr möglich – aufeinander zulaufen, sich in die Arme fallen oder miteinander tanzen. Das Gehen wird für ihn eine Herausforderung bleiben und das Fallen eine ständige Bedrohung.
Eine Liebesgeschichte ohne Schwulst oder Melodramatik
„Ein Mann, der fällt“ heißt der autobiografische Roman, in dem die 76-jährige Ulrike Edschmid von dieser Beziehung unter erschwerten Umständen erzählt. In kurzen Kapiteln schildert sie mit schnörkellosen Sätzen, wie sich das Paar allen Widrigkeiten zum Trotz seine Neugier, Lebensfreude und Liebe bewahrt. Solch eine Geschichte könnte leicht in den Kitsch abdriften, doch bei Edschmid findet sich keine Spur von Schwulst, Melodramatik oder Ähnlichem. Vollkommen unsentimental lässt sie ihre Ich-Erzählerin in einer schmucklosen, jedoch ungemein dichten und präzisen Sprache berichten, wie die gemeinsamen Jahre in dem Haus vergehen und sich die Welt um sie herum verändert. Andere Hausbewohner kommen und gehen, die Berliner Mauer fällt, Flüchtlinge vom Balkan ziehen in den Hinterhof, später iranische Widerstandskämpferinnen in eine der oberen Etagen.
So bietet dieser schmale Roman neben einer besonderen Liebesgeschichte en passant zugleich einen Blick auf den Wandel der Zeit. All dies wird äußerst komprimiert in einem ebenso nüchternen wie liebevollen Ton dargeboten, der nicht nur eine verblüffende Poesie entfaltet, sondern gar humorvolle Momente aufblitzen lässt. Trotz all des Schmerzes findet sich in diesem literarischen Kleinod so viel unaufdringlich präsentierte Lebenslust, dass man Edschmids Roman durchaus ein kleines Meisterwerk nennen darf.
Ulrike Edschmid: Ein Mann, der fällt. Suhrkamp, Berlin. 187 Seiten, 20,00 €.
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