Nachdem er bereits einige Wochen auf meinem Bücherstapel gewartet hat, habe ich endlich den aktuellen Roman von Meyerhoff gelesen. „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ ist der vierte Teil in Meyerhoffs autobiografischem Erzählzyklus „Alle Toten fliegen hoch“. Nachdem er im ersten Band von seinem USA-Aufenthalt, im zweiten von seiner Kindheit auf dem Psychiatriegelände im norddeutschen Schleswig und im dritten von seinem Theaterstudium in München erzählt hat, berichtet er nun von seiner Zeit als Nachwuchsschauspieler in Bielefeld und Dortmund – die vor allem von Frauen geprägt gewesen zu sein scheint.
Endlich hat er das nervenaufreibende Studium hinter sich gebracht, ist ausgebildeter Schauspieler und muss dennoch feststellen, dass ihn das Theaterspielen in erster Linie frustriert. Der 23-jährige Icherzähler ist davon überzeugt, den Job verfehlt zu haben; denn alles, was da im Bielefelder Stadttheater aufgeführt wird, kommt ihm belanglos vor. Er sehnt sich nach etwas Wahrhaftigem und schwingt deshalb immer mal wieder pseudo-revolutionäre Reden, in denen er eine neue Form von Theater fordert, wofür er von seinen älteren Kollegen allerdings bloß müde belächelt wird.
Zum Glück jedoch gibt es eine Welt abseits der Bühne, und dort tobt sich der Protagonist mächtig aus. Zuerst verliebt er sich in die egozentrische Hanna, eine hochintelligente und zum Zynismus neigende Studentin, die eine wandelnde Bibliothek zu sein scheint. Obwohl komplett verknallt und von großer Liebe schwafelnd, stürzt sich der Icherzähler darüber hinaus – nach seinem Wechsel ans Dortmunder Theater – in eine wilde Affäre mit der Tänzerin Franka, bei der es in erster Linie um Sex zu gehen scheint. Während Hanna ihn (in Bielefeld) intellektuell stimuliert, bietet Franka ihm (in Dortmund) intensive Exzesse im Bett. Die zwei Beziehungen füttern sein Ego, verlangen ihm allerdings auch allerlei logistische Verrenkungen, Lügengeschichten und Verwandlungskünste ab.
„Jede Zugfahrt – ob von Bielefeld nach Dortmund oder umgekehrt – brauchte ich dringend als Zeit der Metamorphose, denn der Bielefelder Hanna-Freund war ja ein ganz anderer als der Dortmunder Franka-Mann. Beide gefielen mir gut, und keinen von beiden wollte ich missen.“ (202)
Erotik und Selbstbespiegelung mit Längen
Und dann ist da noch eine dritte Frau im Bunde: die Bäckerin Ilse, die er regelmäßig in ihrer Bäckerei oder direkt frühmorgens in der Backstube besucht. Bei ihr fühlt er sich geborgen wie sonst nirgends, und zugleich fühlt er sich er anscheinend auch von Ilses Üppigkeit erotisch angezogen. Überhaupt dreht es sich in „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ viel um Erotik, Verliebtsein und Beziehungsstress. Das ist in einigen Passagen amüsant oder gar berührend, aber stellenweise auch bloß trivial. Meyerhoff verfällt im vierten Teil seines autobiografischen Erzählprojekts stärker als in den anderen Teilen dem Hang der permanenten Selbstbespieglung, die auf Dauer ermüden kann. Nicht alles, was Meyerhoff offenbar erlebt hat, muss in dieser Ausführlichkeit ausgebreitet werden, und so hat der Roman mit seinen über 400 Seiten einige Längen.
Dennoch ist dem 50-jährigen Schriftsteller und Schauspieler Meyerhoff alles in allem erneut ein unterhaltsames Werk gelungen, das allerdings insbesondere dann glänzt, wenn es sich vom Innenleben des Protagonisten ab- und den anderen Figuren zuwendet. So wie sich Meyerhoffs wunderbares „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ (der 2. Teil) durch die liebevollen Schilderungen seines Vaters und der Psychiatriepatienten hervorhebt, ist „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ dort am besten, wo Hanna, Franka oder Ilse in den Fokus rücken. Es sind diese Momente, die Lust auf einen fünften Teil von „Alle Toten fliegen hoch“ machen.
Joachim Meyerhoff: Die Zweisamkeit der Einzelgänger. Alle Toten fliegen hoch, Teil 4. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017. 416 Seiten, 24.00 €.