Schlagwort-Archive: Taschenbuch

Allwetterleser

NapoliHeiligennische

Der ältere, bärtige Obdachlose, der auch bei Regen, Schnee oder Graupelschauern unter der Mini-Möchtegern-Arkade der Sparkasse auf seiner Decke hockt, ein Buch in den Händen hält und vollständig in seiner Lektüre versunken scheint, jedoch stets kurz aufschaut, um sich zu bedanken, wenn ein paar Münzen in seinem Pappbecher gelandet sind. Was er da gerade lese, frage ich ihn, woraufhin er das Taschenbuch zuklappt, damit ich das Cover sehen kann, auf dem ein bebrillter Junge einen flauschigen Hundewelpen umarmt, was mir ein Lächeln entlockt – nicht weil es ein kitschiges Foto ist, sondern das Titelbild eines Romans, den ich sehr mag und von dem ich bereits weiß, dass ich ihn in Kürze für einen Vortrag über den Autor ein weiteres Mal lesen werde: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war von Joachim Meyerhoff.

Auch der Bärtige mag das Buch, schwärmt auf Nachfrage von einzelnen Szenen, von denen ich einige bereits vergessen hatte, und sagt, dass er von dem Schriftsteller auf jeden Fall noch mehr lesen wolle. Ich erzähle ihm, dass erst vor wenigen Wochen Meyerhoffs dritter Roman erschienen sei und bei mir zuhause auf dem Schreibtisch liege. Das werde er sich auch besorgen, sagt er. Als ich zu bedenken gebe, dass man den Roman noch nicht als Taschenbuch kaufen könne, er also recht teuer sein dürfte, erwidert der Bärtige, dass das kein Problem sei, da er noch einen Thalia-Gutschein habe. Den werde er für das Buch einlösen, sagt er und grinst. Ich nicke, verabschiede mich und radel rasch nach Hause, um meine Meyerhoff-Lektüre fortzusetzen.

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4 – Ein Sammelsurium von Seitenpfadexkursionen

Beyer

In „Putins Briefkasten“ verwebt der Schriftsteller und Kleist-Preisträger Marcel Beyer in acht verspielten Essays virtuos Denkbilder über das Dichten mit Ausflügen nach Brixton, in die Imkerei, die Vogelkunde und Wladimir Putins Dresdener Vergangenheit

Was haben Marcel Proust, der VW Phaethon und eine Katze in Vilnius gemeinsam? Die Antwort: Sie alle finden Platz in „Putins Briefkasten“, einem Büchlein des Lyrikers, Essayisten und Romanciers Marcel Beyer. Der 1965 in Baden-Würtemberg geborene und seit knapp 20 Jahren in Dresden lebende Schriftsteller hat mit Gedichten seine literarische Karriere begonnen, ist mit Romanen wie „Flughunde“ (1995), „Spione“ (2000) und „Kaltenburg“ (2008) bekannt geworden und hat sich dann einige Jahre vor allem dem Verfassen von Opernlibretti zugewandt. 2014 legte Beyer nach 12 Jahren Auszeit mit „Graphit“ endlich wieder einen Gedichtband vor, für den er im Feuilleton mehrheitlich gefeiert und unter anderem mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Nicht ganz so viel Beachtung hatte die Öffentlichkeit zwei Jahre zuvor einem Taschenbuch geschenkt, das weder Gedichtband noch Roman ist, sondern eine Sammlung von „Acht Recherchen“, denen verschiedene Beiträge zugrunde liegen, die der Joseph-Breitbach-Preisträger (2008) für Zeitungen, Zeitschriften und Sammelbände verfasst hat.

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