Archiv der Kategorie: Schnipsel

Strandpromenadensänger Harry

strand

Das Jenseits liegt auf dem Darß, oder Harry Rowohlt lebt. Er spielt Schifferklavier auf der Strandpromenade von Prerow, singt dazu Seemannslieder oder begleitet sich auf der Trompete; und manchmal fordert er die Leute, die vor ihm stehen geblieben sind, dazu auf, mitzusingen:

Und jetzt alle!“

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5 Bier & ein Fernglas

Dünen-Verbot

Auf der Aussichtsplattform eines Rundwanderwegs holt eine Frau von etwa 60 Jahren eine Trinkflasche aus ihrem Rucksack, trinkt und hält dann die Flasche ihrem graubärtigen Mann hin, der nur kurz seinen großen Feldstecher absetzt, den Kopf schüttelt und wieder durch das Fernglas die vor ihm liegende Landschaft beobachtet.

Trink mal ein bisschen“, sagt die Frau zu ihrem Mann und hält ihm weiter die Flasche hin.

Ich möchte nicht.“

Du trinkst viel zu wenig!“

Dafür trinke ich später fünf Bier“, sagt er und schaut weiter durch sein Fernglas.

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Hausfassadenangeln mit Taschenlampe

Themseseilbahn

Ein Angler, der freitagnachts am Fluss zwischen Büschen auf seinem Klappstuhl sitzt und die Fahrradfahrer, die am gegenüberliegenden Ufer über den Deich fahren, mit seiner Taschenlampe blendet und, wenn kein Fahrrad in Sicht ist, mit dem Lichtstrahl die Fensterscheiben der hinterm Deich schlummernden Häuser aufleuchten lässt.

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nostalgische Ping-Pong-Pub-Posen

Tischtennisplatte

round round get around

Rundlauf spielen im Hinterhof um zwei Uhr nachts. Mit einem Tischtennisschläger in der Hand um eine Platte rennen und einen kleinen weißen Ball von der einen Seite übers Netz auf die andere Seite schlagen – das ist immer noch möglich … auch für die, die inzwischen zum alten Eisen gehören, ist der Ball immer noch rund, die Platte grün und der Schläger mit zwei Seiten ausgestattet. Wenn dann beim Rundrennen auch noch Tocotronics „Gehen die Leute auf der Straße eigentlich absichtlich so langsam“ aus den Verstärkerboxen scheppert, treibt das den Puls zusätzlich in die Höhe.

my heart is a beating drum

Ziemlich aus der Puste. Endlos müde trotz Mate. Restlos durchgeschwitzt – doch nach dem Finale mit einem Glückseligkeitslächeln auf den Lippen … zumindest für 10-20 Sekunden … dann … tock … tock … tock … kündigt sich der nächste Aufschlag an, wird mit der Schlägerkante auf die Tischplatte geklopft.

Das ist das Zeichen! Neue Runde. Neues Glück. Alle laufen wieder los.

The Ping-Pong-Pub is back.

round round get around

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Gerollte Kinderwurstscheiben

Rübe ab

Die gerollte Scheibe Mortadella, die aus der Hand des Wurstfachverkäufers über den Tresen in die Kinderhand wandert („Na Kleiner, willst du eine Scheibe Kinderwurst?“). Gibt es das eigentlich noch? Bin in meiner Kindheit deswegen früher gern zum Metzger gegangen, auch wenn mir das Wort Mortadella fremd war – wir nannten das immer Kinderwurst, die Wurst für Kinder (später lächelte von diesen Wurstscheiben gar, vollkommen „kindergerecht“, ein drolliges Gesichtchen). Neben den üblichen Metzgereien gab es in unserem Ort noch einen speziellen Schlachter, der Pferdewürste verkaufte – das waren aber keine Würste für Pferde … Sprachkuriosa:-)

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Mit Nietzsche auf einem Tiger in Träumen hängend

Kran

Vorgestern mit Nietzsche stumm auf meinem Sofa gesessen. Er fingerte minutenlang in seinem Walrossschnauzbart herum, bis er endlich eine Papierrolle zwischen den Schnurbarthaaren hervorzog, sie entrollte und einige Minuten (vor sich hinbrummend) studierte (während ich vergeblich versuchte, einen Blick auf das Geschriebene zu erhaschen); dann nickte Nietzsche und murmelte: „Hm, ach ja … das hätte ich durchaus zu Lebzeiten veröffentlichen können.“

„Was denn?“, fragte ich.

„Diesen Aufsatz über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn.“

Ich nickte eifrig. „Ja, wunderbarer Aufsatz, ist aber tatsächlich noch erschienen, bevor Sie das Zeitliche gesegnet haben“, sagte ich, und Nietzsche feuerte einen feurig bösen Blick in meine Richtung und sagte: „Wer hat Sie denn gefragt!“

Da verstummte ich sogleich, obwohl wir ja auf meinem Sofa saßen … aber hey: Das war nicht irgendwer neben mir, das war Friedrich Wilhelm Nietzsche!

Nachdem er erneut einige Minuten stumm da gesessen hatte, sah er mich wieder an (dieses Mal ganz milde) und fragte: „Was halten Sie von dieser Stelle? Was weiss der Mensch eigentlich von sich selbst! Ja, vermöchte er auch nur sich einmal vollständig, hingelegt wie in einen erleuchteten Glaskasten, zu percipiren? Verschweigt die Natur ihm nicht das Allermeiste, selbst über seinen Körper, um ihn, abseits von den Windungen der Gedärme, dem raschen Fluss der Blutströme, den verwickelten Faserzitterungen, in ein stolzes gauklerisches Bewusstsein zu bannen und einzuschließen! Sie warf den Schlüssel weg: und wehe der verhängnisvollen Neubegier, die durch eine Spalte einmal aus dem Bewusstseinszimmer heraus und hinab zu sehen vermöchte und die jetzt ahnte, dass auf dem Erbarmungslosen, dem Gierigen, dem Unersättlichen, dem Mörderischen der Mensch ruht, in der Gleichgültigkeit seine Nichtwissens, und gleichsam auf dem Rücken eines Tigers in Träumen hängend.“

Ich nickte wieder eifrig: „Ja, genau diese Stelle! Genau diese Stelle!“, sagte ich und steigerte mich hinein in einen Monolog über die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens nach absoluten Wahrheiten sowie die Fähigkeit des Menschen, sich mit Selbsttäuschungen über seine eigene Beschränktheit hinwegzutrösten; und während ein Wortschwall unaufhaltsam aus meinem Munde schwappte, saß der große Friedrich Wilhelm Nietzsche neben mir auf meinem Sofa … und Nietzsche, Nietzsche schnarchte.

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Bunter Schlüpfer im Terrarium

Dublin

Sommertag mit Wind, der Wolken vor sich hertreibt und durch das offene Fenster in meine Dachkammer pustet und Schreibblätter aufwirbelt. Auf dem Sofa genieße ich die Stille, die an diesen Nachmittag nur ein einziges Mal durchbrochen wird. Die Nachbarn im Haus gegenüber stehen im sechsten Stock hinter der Glasfront in der Küche ihres Appartments und schreien sich gegenseitig an – Pärchenzwist im Terrarium.

Sie im rosafarbenen Shirt und bunten Schlüpfer, er in mondänem Schwarz zwischen dem froschgrünen Plastikmobiliar, das mit Schaffellen bespannt ist. Monoton fuchtelt er mit seinen Händen in der Luft herum und brüllt so laut, dass sich seine Stimme überschlägt.

Nach Minuten des Brüllens und Fuchtelns verzieht er sich auf die Dachterrasse, brüllt ein letztes Mal in die Wohnung hinein und lehnt sich dann mit seinen Armen aufs Holzgeländer, an dem ein von ihm angebrachtes olivfarbenes Transparent hängt, das in weißen Großbuchstaben verkündet: LIEBE WIE DU LEBST.DE

 

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Zuhörerverachtung versus Publikumskopfschütteln

weserhausflur

Kein Bock auf Lesen vor Publikum scheint Helmut Krausser zu haben. Lustlos fläzt er sich auf den Stuhl, blättert in seinem Gedichtband, murmelt irgendwas vor sich hin. Zum Lesen im Stehen scheint die Energie nicht auszureichen.

„Ich lese lieber im Sitzen.“

Oder noch lieber – gar nicht?

Der nächste Gedichtband wird gut“, soll er mal gesagt haben, „aber Gedichte liest ja kein Mensch.“

Scheint er aber nicht gern zu hören, Zitate aus seiner Vergangenheit zur Begrüßung aus dem Munde der Moderatorin.

Tja, was soll ich dazu sagen.“ Das ist seine Begrüßung des Publikums, dem er dann ein Zorngedicht vorliest. Danach ist er wieder am Blättern.

Diese Gedichte kann ich euch nicht zumuten, aber welche aus der U-12-Abteilung. Kindergedichte.“

Davon liest er dann drei, vier, und noch ein Zorngedicht zum Abschluss, in dem das lyrische Ich einer Frau aus Eifersucht gern den Schädel spalten würde.

Eine Zuhörerin mit weißem Haar und grauer Strickjacke schüttelt zu jedem Vers dieses Gedichts den Kopf und hält auch dann noch die Arme vor der Brust verschränkt, als alle anderen Schlussapplaus spenden und Krausser sich auf der Bühne zweimal verbeugt vor seinem Publikum …

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Wurstgulasch im Wok – Let´s dance

weserhausfesnterblick

Jenseits der Glasfront des Weserhauses winken die Blätter der Bäume, dahinter kräuselt sich das Wasser der Weser und vorne im Raum steht eine australische Lyrikerin am Sonntagmorgen auf der Bühne und liest ein Gedicht über mexikanische Sturmwolken (oder habe ich das Gedicht später bloß in ihrem Buch Aria gelesen und im Nachhinein in meine Erinnerung reingeschmuggelt, weil es zum dauerbedeckten Bremer Himmel passt?).

Draußen, zwei Stockwerke tiefer, braucht ein Smart gefühlte fünf Minuten, um in einer Lücke einzuparken, in der vorher ein doppelt so langer BMW-Kombi stand. Erwarte gespannt, wer da aussteigen wird (es gibt da ja so Geschlechterklischees, denen man selbst schnell zu erliegen droht). Die Türen öffnen sich: Eine Frau um die fünfzig steigt aus – auf der Beifahrerseite. Ein Mann um die fünfzig, mit Käppi auf dem Kopf, auf der Fahrerseite.

Auf der Bühne jetzt Personenwechsel. Zwei deutsche Phrasen kennt der vielfach preisgekrönte Lyriker aus Costa Rica:

1) „Wie viel kostet das?“

2) „Eine Tüte, bitte.“

Das genügt doch eigentlich auch. Erst bezahlen, dann eintüten – zum Beispiel einen Band mit diesen kurzen Poemen, die von Bierflaschen auf Tischen, angeketteten Nachbarshunden oder Essensreste im Wok erzählen, oder vom Brummen der Kühlschränke, das ganze Familien einzulullen vermag. Oder einen der sechszehn Lyrikbände des derzeitigen Präsidenten des Litauischen Schriftstellerverbandes, der ein „Peitschenlachen“ in seinen sanften Versen aufknallen lässt.

Vor der Pause ein schlecht gelaunter Schriftsteller, der zuletzt eine Gebrauchsanweisung für den FC Bayern geschrieben hat. Nach der Pause schmettert der Festivalgitarrist ein Ringelnatzlied und animiert das Publikum zum Mitsingen.

„Oh hey, oh ha“, singen alle … na ja, fast alle.

Danach die vom BDI ausgezeichnete Poesiepreisträgerin 2015, die in ihren Gedichten Wolken wäscht, Wurstgulasch auftischt und Homer, Beatles und Holden Caulfield durch ihre Verse huschen lässt, während die Förderpreisträgerin des Bremer Literaturpreises 2015 in ihren Poemen den Wind Schwalben vom Draht reißen lässt und die jüngste Dichterin des Festivals mit dem Klang des Finnlandschwedischen einen neuen Sound in den Mittag mischt.

Zum Abschluss tritt der „Rockstar des Dialekts“ auf die Bühne. Ein Schweizer Riese, der mit Schwyzerdeutsch und Französisch den Klang der Sprache erforscht und über die Maulfaulheit seiner Landsleute sinniert („Stumm, aber effizient.“), und zwar zu den Bluesakkorden des Festivalgitarristen, der gemeinsam mit dem Mundartdichter zum Ende hin derart die Lyrik rockt, dass man geradezu mittanzen könnte. Bluesrockpoems. Schlussapplaus.

Im Treppenhaus wieder die Fotografin, die eine Dichterin dirigiert. Draußen ein Männertrio mit bunten Helmen und Radlerhosen auf Citybikes, an dessen Lenker Fahrradtaschen und eine Stadtkarte geklemmt sind. Einer zeigt auf die Gastro im Erdgeschoss des Weserhauses.

„Pause, hier können wir ein Bier trinken.“

Prost.

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Wie ein Hollywoodstar vor Beton

shakeshof

In der Pause des zweiten Poesiemarathons ein wenig abseits: Fotosession mit dem Mitbegründer der Wiener Gruppe auf dem Schulhof vor dem Theater. Der Poet im Maiabend vor der Schulhausfassade, während die Vögel zwitschern – was aber niemand, der später die Fotos sieht, wissen wird, aber die Vögel wissen ja auch nichts von den radikalen Sprachexperimenten des Mannes, der sich von der Fotografin dirigieren lässt, während die anderen Dichter*innen & ihre Zuhörer*innen vor den Türen stehen und nach Luft oder Nikotin schnappen, drinnen vor der Theke oder den Toiletten Schlange stehen, den Büchertisch belagern oder mit dem Stift in der Hand von den Protagonist*innen des Poesie-Events Unterschriften verlangen.

(Zwischenspiel: Zwischenstand zur gleichen Zeit in einer anderen Stadt, die auch mit B beginnt: 3 zu 1 auf dem Grün, 3 zu 1 für die Volkswagentruppe gegen die Klopp-Elf. Kein Pokal auf dem Borsigplatz zum Abschied).

Stellen Sie sich doch mal so hin.“ Die Fotografin gibt Regieanweisungen. „Sie wissen schon, so wie die Hollywoodschauspieler.“ Sagt sie zu dem 85-jährigen Wiener Preisträger des Großen Österreichischen Staatspreises für Literatur (Thomas Bernhard hingegen hat nur den Kleinen Staatspreis bekommen – was er damals mit Ende dreißig als „Demütigung“ durch lauter „katholische und nationalsozialistische Arschlöcher“ empfunden habe; doch angenommen hat er den Preis dennoch, da er kein Aufsehen habe machen wollen und zudem nicht gewillt gewesen sei 25.000 Schilling abzulehnen. „Ich bin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selbst ein Schwein“, so Bernhard, der aber ja schon längst tot ist, viel länger, als es poetry on the road gibt und der hier, in diesem Text über das Festival, dementsprechend eigentlich gar nichts zu suchen hat – aber wenn man über Literatur spricht, sollte man dann nicht immer zumindest eine kleine Thomas Bernhard-Anekdote aus der Tasche ziehen?).

So wie die Hollywoodschauspieler. Klick. Klick. Klick. Das eine Digitalkamera so laut klickt, wer hätte das gedacht.

Ach, das haben Sie doch gar nicht nötig“, sagt sie jetzt, die Fotografin. „Sie haben so viel Ausstrahlung, Herr Rühm“, legt sie nach und lenkt den Dichter, der den Anweisungen höflich Folge leistet.

Schön, sehr schön!“, sagt sie, hält inne, schaut auf den Kamerabildschirm. „Hm, nein, das gefällt mir noch nicht. Das ist zu düster. Gehen Sie doch mal da hin. Vor die Wand, mit dem schreibenden Herrn im Hintergrund.“

Plötzlich bin ich im Bild, habe den Rühm im Rücken, der abgeknipst wird, mit mir als Kulisse sozusagen, zumindest für ein paar Fotos, dann steht die Fotografin hinter mir, spricht zu mir: „Könnten Sie woanders hingehen. Ich möchte vor der Wand ein Foto machen von Herrn Rühm.“

Also, raus aus dem Bild, Platz für ein Hollywoodfoto vom berühmten Dichter, der jetzt ein wenig steif dasteht in seinem grauen Anzug vor dem grauen Beton, auf dem jemand in Schwarz das Wort „kritisch“ gesprüht hat.

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