Schlagwort-Archive: S. Fischer

Engel und Liebende

Olga Martynova erzählt von den Problemen der Liebe

Als Olga Martynova 2013 in einem Interview gefragt wurde, worum es in ihrem prämierten Roman „Mörikes Schlüsselbein“ gehe, fiel ihr die Antwort nicht leicht. Es gehe um Vieles, meinte die deutsch-russische Autorin schließlich, aber vor allem um die Liebe. Gleiches ließe sich über ihren Roman „Der Engelherd“ sagen. Auch hier geht es um dies und das, jedoch vor allem um das ganz große Gefühl. Zum Beispiel um die Liebe zwischen dem in die Jahre gekommenen Erfolgsschriftsteller Caspar Waidegger und der etwa halb so alten Doktorandin Laura, die über Waideggers Werk promoviert. Ob Laura tatsächlich den Mann liebt oder vielleicht doch nur sein Werk, weiß sie selbst nicht so genau. Der Autor hingegen scheint bloß seine Ruhe haben zu wollen und die Möglichkeit, bei Bedarf über Laura zu verfügen. Erst als diese sich von ihm zu lösen beginnt, spürt er, dass er mehr für sie empfindet – doch die entscheidenden Worte bleiben ungesagt.

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Schrulliger Wuselkopf

Äußerst gewitzt erzählt Anne Weber von einem modernen Taugenichts

Jemand, der bevorzugt auf seinen Händen in der Öffentlichkeit herumspaziert, seine Miete mit Muscheln bezahlen will und sich liebend gern mit Schwalben, Akazien oder Briefkästen unterhält – so jemand darf sich nicht wundern, wenn man ihn als schrägen Vogel bezeichnet. Genau solch ein schräger Vogel ist Kirio, der äußerst eigentümliche Held in Anne Webers gleichnamigen Roman, der in diesem Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Den Preis hat zwar wer anders bekommen, aber Kirio würde das ganz sicher nicht kratzen, denn Auszeichnungen sind ihm vermutlich so schnuppe wie Geld, Karriere oder Schulterklopfer des Präsidenten höchstpersönlich. Als das Staatsoberhaupt ihm die Schulter tätschelt, ist Kirio allerdings auch just mit Tischfußball beschäftigt, hat also Besseres zu tun – auch wenn er sich zu jenem Zeitpunkt gerade in der Psychiatrie aufhält. Freilich ist der Aufenthalt bloß temporär, denn so einen Wuselkopf, den hält es nirgends lange. Mal lebt er in der freien Natur in einer Höhle, mal in einer Achtquadratmeter-Dachgeschosskammer in der Stadt und dann eben eine Weile in einer staatlichen Einrichtung.

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Im Schatten

In seinem Erzählungsband bewegt sich Clemens Meyer erneut am Rand der Gesellschaft

Als „Türsteher der neuen sozialen Literatur“ wurde der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer bezeichnet. Das liegt zum einen an den Milieus, in denen seine Geschichten spielen, und zum anderen an seinem nüchternen bis harten Ton. Ob in seinem Debüt „Als wir träumten“, seinem (2008 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse prämierten) ersten Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ oder seinem (2014 mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichneten) Roman „Im Stein“ – stets rückt Meyer Figuren ins Rampenlicht, die sonst auf der Schattenseite leben.

So gesehen bleibt sich der 39-Jährige in seinem zweiten Erzählungsband „Die stillen Trabanten“ treu. Dieses Mal sind es zwar keine Arbeitslosen, Kriminellen oder Prostituierten, denen sich Meyer zuwendet, aber es sind jene, die sich in meist schlecht bezahlten Jobs abmühen und dennoch auf keinen grünen Zweig kommen. Da ist zum Beispiel ein Wachmann, der seit vielen Jahren seine Runden um das Ausländerwohnheim dreht und an die Zeit zurückdenkt, als sich eine zarte Romanze mit einer der Bewohnerinnen zu entwickeln begann – bis sie plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden war. Oder der Imbissbudenbesitzer, der eine Freundschaft mit seinem streng muslimischen Nachbarn pflegt und sich zugleich in dessen Freundin verliebt.

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Italienische Affären

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Marlene Streeruwitz schickt ihre Heldin für ein Abenteuer nach Italien

Italien ist nach wie vor ein beliebter Schauplatz literarischer Werke. Nicht nur die beiden Protagonisten der frisch mit dem Deutschen Buchpreis prämierten Novelle „Widerfahrnis“ brechen zu diesem Sehnsuchtsort auf, sondern auch die titelgebende Heldin in Marlene Streeruwitz’ Roman „Yseut“. Die Endsechzigerin quartiert sich in einer norditalienischen Villa ein, in der einst Byron gewohnt haben soll. Von dort aus möchte die aus Wien stammende Linguistin einige Drehorte von Antonioni-Filmen abklappern, findet dafür indes nur wenig Zeit. Kaum ist sie in der Villa angekommen, ist sie mit regionalen Machtkämpfen konfrontiert, die im Umkreis der Villa ausgetragen werden. Welche Rolle dabei die Contessa spielt, die das Hotel in der Villa betreibt, bleibt ihr rätselhaft. Genauso rätselhaft wie die Motive des knapp 20 Jahre jüngeren Mafiosos, der trotz seiner brutalen Ausstrahlung, mit allerlei Avancen um Yseut wirbt.

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Abschied vom alten Leben

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Peter Stamm erzählt vom plötzlichen Ausbruch aus der Familienidylle

Astrid und Thomas sitzen an einem Sommerabend auf der Holzbank im Garten vor ihrem Haus und trinken Wein. Gerade erst vor ein paar Stunden ist das Ehepaar aus den Ferien heimgekehrt; die Koffer stehen noch unausgepackt im Flur, dafür liegen die Kinder bereits im Bett. Doch als eines der Kinder quengelt, steht Astrid auf und geht ins Haus. Thomas bleibt allein zurück, sitzt eine Weile einfach nur da und blickt in den Garten hinaus. Als er hört, wie seine Frau die Koffer auszupacken beginnt, stellt er sein Weinglas zur Seite, steht auf, macht ein paar Schritte, öffnet das Gartentor, geht die Dorfstraße hinunter, biegt in den Wald ab und verschwindet.

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Wehmut allüberall

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Achtzehn Jahre nach ihrem Überraschungserfolg „Sommerhaus, später“ legt das ehemalige „Fräuleinwunder“ Judith Hermann mit „Lettipark“ einen weiteren Erzählungsband vor. Das Personal ihrer Geschichten ist zwar gealtert, aber die melancholische Grundstimmung erinnert stark an ihr Debüt.

Den „Sound einer neuen Generation“ meinte der Literaturkritiker Hellmuth Karasek 1998 in den Erzählungen der damals 28-jährigen Judith Hermann zu erkennen. Seine und die Begeisterung seines Kollegen Marcel Reich-Ranicki halfen dabei mit, dass sich Hermanns Debüt in den folgenden Monaten über 250.000 Mal verkaufen sollte. Im Literarischen Quartett prophezeiten die beiden Kritikerikonen der bis dahin unbekannten Autorin eine große Zukunft. Ob sich diese Prophezeiung inzwischen erfüllt hat, darüber lässt sich streiten. Der plötzliche Erfolg bereitete Hermann damals Probleme beim Schreiben neuer Texte, sie ließ sich fünf Jahre Zeit, bevor sie ihren zweiten Erzählungsband veröffentlichte („Nichts als Gespenster“) und anschließend gar weitere sechs Jahre für ihren dritten („Alice“). Beide Bücher konnten nicht an den Erfolg ihres Erstlings anknüpfen, und auch ihr erster Roman („Aller Liebe Anfang“) wurde sowohl vom Feuilleton als auch von der Leserschaft sehr gemischt aufgenommen. Nun, zwei Jahre nach ihrem Romandebüt, präsentiert sie sich mit „Lettipark“ wieder als Verfasserin der Kurzform.

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Provinzzombies

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In seinem Roman „Glantz und Gloria“ erzählt der aktuelle Bremer Literaturpreisträger Henning Ahrens eine herrlich durchgeknallte Story

Der deutsche Provinz-Mob ist eine Art Zombie-Musicalchor. Zumindest in Glantz, einem konservativen Kaff, das im Tal eines fiktiven Mittelgebirges namens Düster liegt und dessen Einwohner keine Fremden mögen. Dieses Glantz im Düster ist der Schauplatz von Henning Ahrens Roman „Glantz und Gloria“, für den der 51-jährige Schriftsteller just mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet wurde.

Ahrens erzählt in seinem vierten Roman die Geschichte von Rock Oldekop, der in seinen Geburtsort zurückkehrt, um Klarheit über seine Vergangenheit zu erlangen. Als Fünfjähriger hatte er die Heimat verlassen, da das Elternhaus abgebrannt und die Eltern bei dem Brand umgekommen waren. Knapp 40 Jahre später kehrt er zurück in dieses Provinznest, das ihm mittlerweile fremd ist und ihn wie einen Fremden empfängt. Da trifft es sich eigentlich ganz gut, dass er abseits des Dorfes in der alten Mühle Unterschlupf findet – und zwar bei Landauer, einem Zugezogenen, der vor Jahren die Mühle gekauft hat, aber von den Einheimischen nie als Ihresgleichen akzeptiert wurde. Im Gegenteil: Die Glantzer wollen den Eindringling unbedingt loswerden, denn der ist nicht nur der Herkunft nach fremd, sondern außerdem ein Öko-Selbstversorger und militanter Vegetarier, der seinem Gast gleich in der ersten Nacht aus der Hand liest.

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Mann in der Krise

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In Ulrich Peltzers Roman „Das bessere Leben“ gibt die Krise den Ton an und lässt die erfolgsverwöhnten Protagonisten darüber sinnieren, ob ihr Leben nicht auch komplett anders hätte verlaufen können.

Als Teenager in den 70ern war Jochen Brockmann das, was manche damals einen Halbstarken nannten – Schule schwänzen, Dope in Venlo kaufen und in fetten Joints verarbeitet durchziehen, bekifft in der Stadt abhängen, öffentlich billigen Wein trinken und die aufgerauchten Kippenstummel lässig in hohem Bogen auf den Bürgersteig schnippen und damit auf das Spießbürgertum spucken. Das war früher! Mittlerweile arbeitet der 51-Jährige seit 14 Jahren als Sales Manager für die italienische Maschinenbaufirma Basaldella, jettet durch die Welt, nächtigt in edlen Hotels, handelt Millionenverträge aus und verdient dabei so gut, dass er sein Schwarzgeldkonto in Zürich fleißig füttern und seine Sammlung von Hockney-Zeichnungen Stück für Stück erweitern kann.

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Ein Freund Benjamins

Anne Weber

Anne Weber spürt ihrem Urgroßvater nach

Nicht jeder vermag, wenn er seinen Stammbaum entfaltet, auf einen Vorfahren verweisen, der mit Walter Benjamin, Martin Buber und Hugo von Hofmannsthal befreundet war. Die deutsch-französische Schriftstellerin Anne Weber hat mit Florens Christian Rang indes tatsächlich einen Urgroßvater, der mit diesen Geistesgrößen rege verkehrt hat. Was läge da näher, als hinabzutauchen in die Familiengeschichte, um zu ergründen, wer genau dieser Mann war?

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Elektrokratie DDR

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Thomas Brussig streicht die Wiedervereinigung

Die Idee ist nicht neu, schon Simon Urban hat vor knapp vier Jahren in seinem satirischen Politthriller „Plan D“ ein Szenario entworfen, in dem die DDR weiterexistiert. Nun legt der 1964 in Ost-Berlin geborene Thomas Brussig mit einer fingierten Autobiografie nach und erzählt von seinem Leben als berühmter Schriftsteller in der Deutschen Demokratischen Republik, die nicht nur keine Wiedervereinigung erlebt hat, sondern mithilfe ihrer Vormachtstellung in der Entwicklung von Elektroautos sowie Windenergie „den Lebensstandard der Kuwaitis und den Staatshaushalt der Norweger“ anstrebt. Im Jahr 2014 gibt es in DDR zwar immer noch keine freien Wahlen, jedoch eine „Elektrokratie“, die ihre Bevölkerung mit Geld besticht.

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