Archiv der Kategorie: Schnipsel

Waschmaschinengalaxien

Lampenballons

Sonntagabend im Waschsalon. Allein mit 34 dickbäuchigen Maschinen, die alle schweigen, bis auf einen sanft vor sich hinsurrenden Trockner, in dessen Trommel mein frisch gewaschenes Bettzeug tanzt, während am Kassenautomaten mir gegenüber die Metallklappe des Münzfaches beharrlich vor- und zurückschwingt, ein Millimeter vor, ein Millimeter zurück – ein unaufhaltsames Perpetuum mobile, dem niemand die verdiente Aufmerksamkeit schenkt, weshalb ich beim Abschied ein Fünfcentstück ins Fach lege und danke sage.

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Kohlköniginnen

Deichschartbrücke

Zwei mit Schnapsgläsern behängte Frauen, die beide mit einem Piccolo-Fläschchen ausgestattet gemeinsam einen Bollerwagen hinter sich herziehen und dabei vor Freude strahlen – am späten Freitagmittag, auf dem Bürgersteig des Buntentorsteinwegs, kurz vorm Werdersee …

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Allwetterleser

NapoliHeiligennische

Der ältere, bärtige Obdachlose, der auch bei Regen, Schnee oder Graupelschauern unter der Mini-Möchtegern-Arkade der Sparkasse auf seiner Decke hockt, ein Buch in den Händen hält und vollständig in seiner Lektüre versunken scheint, jedoch stets kurz aufschaut, um sich zu bedanken, wenn ein paar Münzen in seinem Pappbecher gelandet sind. Was er da gerade lese, frage ich ihn, woraufhin er das Taschenbuch zuklappt, damit ich das Cover sehen kann, auf dem ein bebrillter Junge einen flauschigen Hundewelpen umarmt, was mir ein Lächeln entlockt – nicht weil es ein kitschiges Foto ist, sondern das Titelbild eines Romans, den ich sehr mag und von dem ich bereits weiß, dass ich ihn in Kürze für einen Vortrag über den Autor ein weiteres Mal lesen werde: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war von Joachim Meyerhoff.

Auch der Bärtige mag das Buch, schwärmt auf Nachfrage von einzelnen Szenen, von denen ich einige bereits vergessen hatte, und sagt, dass er von dem Schriftsteller auf jeden Fall noch mehr lesen wolle. Ich erzähle ihm, dass erst vor wenigen Wochen Meyerhoffs dritter Roman erschienen sei und bei mir zuhause auf dem Schreibtisch liege. Das werde er sich auch besorgen, sagt er. Als ich zu bedenken gebe, dass man den Roman noch nicht als Taschenbuch kaufen könne, er also recht teuer sein dürfte, erwidert der Bärtige, dass das kein Problem sei, da er noch einen Thalia-Gutschein habe. Den werde er für das Buch einlösen, sagt er und grinst. Ich nicke, verabschiede mich und radel rasch nach Hause, um meine Meyerhoff-Lektüre fortzusetzen.

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Schoko statt Mathe

 Homer-Sand

Letzte Nacht habe ich von zwei Schokoosterhasen geträumt. Der eine war bloß daumengroß und mit buntem Alupapier bekleidet, der andere war so groß wie mein Unterarm und in transparente Folie gewickelt, die einen freien Blick auf seinen Vollmilchschokoladenkörper zuließ.

Die beiden kamen mir sehr bekannt vor, ein Gespräch entwickelte sich dennoch nicht zwischen uns, obwohl die zwei Hasen recht lebendig und aufgeschlossen auf mich wirkten und wir drei zusammen auf einem Sofa in irgendeinem Wartezimmer saßen.

Worauf wir genau warteten, kann ich nicht sagen, vermutlich ging es aber um eine Prüfung, denn kurz darauf stand ich in einem Schulklassenzimmer mit einem Stück Kreide vor einer Tafel, während meine stets grimmig dreinschauende Mathematiklehrerin Frau Hackmann mich aufforderte, irgendwelche Gleichungen zu lösen, und auf eine Nachfrage von mir sagte:

„Das ist Stoff der siebten Klasse! Das müssen Sie wissen!“

Da Mathematikträume stets Albträume sind, erwachte ich zum Glück kurz darauf, sodass ich nicht sagen kann, ob die Schokoosterhasen ebenfalls von Frau Hackmann in die Mathemangel genommen wurden. Ich wünsche ihnen aber von ganzem Herzen, dass ihnen diese Prüfung erspart blieb und sie vorher von kleinen lieben Kindern entkleidet und verputzt wurden.

Frohe Ostern!

 

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Rollkoffer-Division

platte Karre

Ein Dutzend Frauen, alle um die Fünfzig, marschieren am Bahnsteig auf mich zu, begleitet vom Sound ihrer Rollkoffer, die sie hinter sich herziehen – jede Einzelne von ihnen mit einem eigenen kleinen Koffer in der Gefolgschaft. Schwarz glänzende Hartschalen auf Miniaturrädchen, mit pinkfarbenem Nylon bespannte Trolleys auf Kunststoffrollen, bunte Kinderkoffer auf Hartgummirollen, rumpelnde Köfferchen in Mint, Zitrone und Waldmeister, die mich, den trolleylosen Rucksackträger, alle nicht beachten, als sie an mir vorüberrappeln, ihren Befehlshaberinnen hinterher, Richtung Raucherzone, in der sich die Rollkoffer-Division in einem gelb umrandeten Viereck neu formiert, das Feuer eröffnet und vor sich hinqualmt.

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Schlummern im Karton

Regents Channel

Endlose Vorfrühjahrsmüdigkeit, die schon abends um sechs an mir zerrt, mich versinken lässt im weichen Polster eines alten Sessels im Karton, wo ich auf dem Podest, das bei Veranstaltungen als Bühne dient, in der Ecke neben einer großblättrigen Pflanze sitze, deren Namen ich nicht kenne. Zusammen spiegeln wir uns in der großen Scheibe, hinter der der dunkle, frostige Februar lauert, der den kompletten Tag über die Sonne vor uns versteckt hat. In der Spiegelung sehe ich das, was die Passanten auf dem Deich sehen, wenn sie aus dem Abenddunkel in den Karton schauen – ein Ich auf einem Sessel unter den Blättern einer mannshohen Zimmerpflanze, ein Ich mit einem Buch auf dem Schoß und einem Bleistift in der rechten Hand, der immer mal wieder zu Boden fällt, wenn das schläfrige Ich beim Lesen wegdämmert. Ich hingegen erkenne hinter meinem Spiegelbild nur die Silhouetten der Passanten, die Fenster der erleuchteten Büros im Betonklotz gegenüber und die Reflexionen auf dem zittrigen Weserwasser, das nach Bremerhaven fließt. Was will das Wasser eigentlich in Bremerhaven, frage ich mich, ist das ein Sehnsuchtsort oder ein Schicksal für die einzelnen Tropfen, und warum war ich noch nie im Bremerhavener Zoo, obwohl Heinz Sielmann einer meiner Kindheitshelden war, und wieso liegt mein Bleistift schon wieder auf dem Teppich? Ich glaube, es wird Zeit für eine zweite Dosis Koffein, also winke ich der Bedienung zu, und die Bedienung winkt zurück …

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Smarter Doppel-Whopper

Zugzisch

ein Mann im Zug mit zwei Smartphones 

das eine zum Texten in der rechten Hand

das andere in der linken Hand am Ohr

zum zeitgleichen Telefonieren 

DIGITAL IST BESSER

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Versteckter Kettenflug

Karussell

Ein Mädchen in einer neongelben Jacke, das ganz allein in einem kleinen Kettenkarussell vor dem Hauptbahnhof sitzt und immer genau dann sein Gesicht in der Kapuze versteckt, wenn es an seinen Eltern vorbeifliegt, die jeweils mit einem Smartphone in der Hand fotografierbereit dastehen und jedes Mal rufen: Jessica, jetzt guck doch mal!

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24 – Urban Santa Claus

W-Paradies

Heiligabend. Am Nachmittag als Weihnachtsmann im Einsatz. Nach meiner ersten Station im Stephani-Viertel habe ich keine Lust, mich noch einmal umzuziehen und entscheide mich dafür, zur nächsten Station in voller Montur aufzubrechen (schwarze Hose und Stiefel, weißer Bart, rot-weiße Mütze, weiße Handschuhe und roter Mantel mit Kapuze – darunter eine Winterjacke und ein mit Watte gefüllter Jutebeutel als Weihnachtsmannwampe).

Den Weihnachtssack – in dem keine Geschenke, sondern meine Zivilklamotten stecken (für die Geschenke gibt es noch einen zweiten Sack) – klemme ich auf den Gepäckträger, dann steige ich auf mein Rad und trete in die Pedale, möglichst ohne dass sich der Mantelsaum zwischen Kettenblatt und Kette verfängt. Nach ein paar Metern kommt mir eine dreiköpfige Familie zu Fuß entgegen. Der vielleicht sechs- oder siebenjährige Junge bleibt abrupt stehen, als er mich sieht, und starrt mich mit offenem Mund an. Ich winke ihm zu, rufe (wie man das vom Weihnachtsmann erwartet) „Ho, ho, ho. Frohe Weihnachten!“ und klingel dazu mit der Fahrradklingel (meine Glocke habe ich in der Manteltasche). Als ich an den Dreien vorbei bin, höre ich hinter mir noch die Stimme des Jungen: „Papa, warum fährt der Weihnachtsmann mit dem Fahrrad?“

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23 – Der schwitzende Weihnachtsnikolaus

Winterkleineweser2

Meine schönste Weihnachtsmann-Erinnerung, die eigentlich eine Nikolaus-Erinnerung ist, stammt aus meinen Studententagen, als ich jedes Jahr in der Weihnachtszeit als Weihnachtsmann gejobbt habe, und manchmal eben auch als Nikolaus – allerdings im identischen Weihnachtsmannkostüm, was mich damals wohl selbst ein wenig verwirrt hat. Jedenfalls war ich an jenem Nikolausabend von einer Gruppe Mütter gebucht worden, die sich regelmäßig trafen, um gemeinsam mit ihren 4 – 6-jährigen Kindern schwimmen zu gehen. Dieses Mal waren sie jedoch nicht zum Schwimmen zusammengekommen, sondern um den Nikolaus zu empfangen, der dummerweise nach dem Öffnen der Haustür zwar gutgelaunt mit seinem Glöckchen bimmelte, allerdings als Erstes voller Inbrunst mit tiefer Stimme die Versammelten mit folgendem Satz begrüßte: Ho, ho, ho, hier kommt der Weihnachtsmann … äh Nikolaus.

Kritische Blicke der Mütter (was haben wir denn da für eine Gurke gebucht). Kein idealer Auftakt, aber die Kinder schienen nichts gemerkt zu haben, sondern starrten mit aufgerissenen Augen auf den dicken, weißbärtigen Mann im roten Mantel oder liefen panisch zurück ins Haus, versammelten sich jedoch alle kurz darauf – manche fröhlich, andere ehrfürchtig distanziert – nach und nach um den Mann, der also der Nikolaus sein sollte und nun auf einem IKEA-Klappstuhl vor ihnen saß und unter seinem Mantel die üppig gepolsterten Klamotten vollschwitzte (was die Kinder natürlich nicht bemerkten).

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