Archiv der Kategorie: Rezensionen

Mit Waffengewalt für eine bessere Welt?

In ihrem autobiografischen Roman „Das Verschwinden des Philip S.“ schildert Ulrike Edschmid den Weg ihres ehemaligen Lebensgefährten vom Künstlertum in den Untergrund.

Wenn sich Ausstellungen, Filme, Theaterstücke oder Romane dem RAF-Terror widmen, entzünden sich daran des Öfteren Debatten, ob solche künstlerischen Verarbeitungen nicht zu einer weiteren Legendenbildung um jene bekannteste Terrorgruppe der deutschen Nachkriegsgeschichte beitrügen. Doch wie auch immer man sich zu den Protagonisten, Aktionen und Forderungen der „Roten Armee Fraktion“ oder anderer links-militanter Gruppierungen wie der „Bewegung 2. Juni“ positioniert – Fakt bleibt: Ihre Gewalttaten und die Reaktionen der Staatsgewalt haben die junge BRD in den 70er Jahren dermaßen geprägt, dass eine Auseinandersetzung mit diesem Teil der deutschen Historie notwendig bleibt.

Vom apolitischen Ästheten zum Politaktivisten

Wer sich mit den Guerilla- oder Terrorgruppen jener Jahre beschäftigt, stellt sich irgendwann unweigerlich die Frage, was junge Menschen motiviert hat, ihr altes Leben hinter sich zu lassen, um im Untergrund mit Waffengewalt gegen einen Staat zu kämpfen. Um diese Frage kreist Barbara Edschmids Kurzroman „Das Verschwinden des Philip S.“. Die 1940 in Berlin geborene Autorin erzählt darin die Geschichte eines talentierten Künstlers, der sich vom Ästheten zum Politaktivisten wandelt, in den Untergrund abtaucht und sich der Stadtguerillagruppe „Bewegung 2. Juni“ anschließt.

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Pöbeln, was das Zeug hält

Der Satiriker, Sprachkritiker und Schriftsteller Eckhard Henscheid versucht sich mit „Denkwürdigkeiten“ an einer Art Autobiografie und konzentriert sich dabei auf die Abteilung Attacke.

Wenn ein „Krawallliterat“ wie Eckhard Henscheid eine Autobiografie vorlegt, darf man gespannt sein; schließlich ist Henscheid ein kritischer Geist, der sich nie das Maul zukleistern lässt und notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zieht, um für seine Meinungsfreiheit zu streiten. In den Satirezeitschriften „Pardon“ und „Titanic“, in überregionalen Tageszeitungen wie der FAZ sowie in einigen seiner Bücher – unter anderem in „Dummdeutsch“ (1985) und „Die Nackten und die Doofen“ (2003) – hat er teils brillante, stets bissige Sprachkritik betrieben gegenüber dem „Geschwurbel“ in der Politik, dem Feuilleton oder der Werbung. Aber natürlich wird man Henscheid nicht gerecht, wenn man ihn auf seine lauten Töne reduziert und als Satiriker abtut, denn als Schriftsteller hat er sich in zahlreichen Gattungen hervorgetan: Er hat Romane, Erzählungen, Märchen, Idyllen, Essays und vieles mehr verfasst.

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Ego-Gesellschaft ohne Herz

Juli Zeh hält in ihrem Politthriller „Leere Herzen“ der Gegenwart den Spiegel vor

Wir schreiben das Jahr 2025. In Deutschland ist die rechtspopulistische Besorgte-Bürger-Bewegung (BBB) an der Macht, die in sogenannten Effizienzpaketen nach und nach die Demokratie abbaut. Manche sind darüber empört, andere schimpfen nur halbherzig, da die BBB zwar nicht sehr demokratisch agiere, aber dennoch gute Ideen habe – und der Mehrheit ist es sowieso egal, da sie sich längst von der Politik abgewandt hat und eher auf ihr Wahlrecht als auf ihre Waschmaschine verzichten würde.

Zynische Geschäfte mit Selbstmordgefährdeten

So sieht die Zukunft aus in Juli Zehs Politthriller „Leere Herzen“. Eine trist anmutende Gesellschaft, die sich indes ideal eignet für ein zynisches Geschäftsmodell, wie es Britta Söldner und Babak Hamwi betreiben. Die extrem ehrgeizige Akademikerin und der IT-Nerd haben innerhalb weniger Jahre ihre Firma „Die Brücke“ aufgezogen, eine äußerst spezielle Heilpraxis. Mithilfe eines Algorithmus spüren sie Suizidgefährdete auf und lassen sie ein mehrstufiges Verfahren durchlaufen, um zu testen, ob sie wirklich tief durchdrungen sind von ihrem Selbstmordwunsch. Neunzig Prozent der Kandidaten werden im Laufe des Verfahrens geheilt und kehren dankbar in ihr Leben zurück. Die restlichen zehn Prozent vermittelt „Die Brücke“ für Geld an islamistische Terrorgruppen oder radikale Ökoaktivisten, damit sie in deren Namen Selbstmordattentate verüben. Das Geschäft mit den Suizidalen läuft bestens, bis sich eines Tages eine ominöse, auch nicht vor Gewalt zurückschreckende Gruppe namens „Empty Hearts“ für das Geschäftsmodell der „Brücke“ zu interessieren beginnt.

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Verliebt in Pakistan

In seinem Erzählungsband versammelt Christoph Peters Geschichten aus dem Nahen und Mittleren Osten

Einige Experten bezeichnen Pakistan regelmäßig als das gefährlichste Land der Welt. Kein Superlativ, der Lust entfacht auf eine Reise in diese islamische Republik mit ihren über 200 Millionen Einwohnern. Was will man dort, wenn es da so gefährlich ist? Für den Anfang könnte man vielleicht durch eine Kunsthochschule der 7-Millionen-Einwohner-Metropole Lahore spazieren und sich in eine Studentin verlieben. Oder man steigt zu zwei jungen Paschtunen auf ein klappriges Moped, um mit ihnen über eine mit Schlaglöchern übersäte Schnellstraße zu knattern. Anschließend könnte man mit einer kleinen Gruppe Einheimischer in einer improvisierten Hinterhofmoschee beisammensitzen, Shami Kebab essen und über die unterschiedlichen Vorstellungen vom Islam diskutieren.

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Eugenik statt Sozialismus

Uwe Timm setzt sich in seinem Roman „Ikarien“ mit dem Eugeniker Alfred Ploetz auseinander

April 1945. Die Nazis sind besiegt und der junge Germanist Michael Hansen kehrt als amerikanischer Leutnant in das Land seiner frühen Kindheit zurück. Dort erhält er den Auftrag, einen Dissidenten namens Karl Wagner zu befragen – und zwar zu dessen einstigem Freund Alfred Ploetz. Ploetz war unter den Nazis zu einem der führenden Eugeniker avanciert, der mit seinen Forschungen die Ideen der Rassenhygiene zu untermauern versuchte. Ursprünglich waren der Sozialist Wagner und der spätere Rassentheoretiker Ploetz verbunden durch die gemeinsame Vision, eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Doch während Wagner das über grundlegende politische Veränderungen zu erreichen hoffte, zweifelte Ploetz immer stärker an der menschlichen Beschaffenheit an sich; bis er schließlich davon überzeugt war, dass sich die ideale Gesellschaft nur über die Optimierung des Menschen verwirklichen ließe.

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Tee trinken und Haikus schreiben

In ihrem Roman „Die Kieferninseln“ schickt die Schriftstellerin Marion Poschmann einen kriselnden Bartforscher nach Japan

Gilbert Silvester, Privatdozent und Bartforscher im Rahmen eines Drittmittelprojekts, hat geträumt, und zwar von seiner Frau. Nach diesem nächtlichen Traum ist er sich sicher, dass Mathilda ihn betrügt. Entschlossen stellt er sie zur Rede, klagt sie an, beleidigt sie und glaubt sie sogleich überführt, da sie alles abstreitet. Zutiefst gekränkt fährt er zum Flughafen, kauft sich in einer Kurzschlussreaktion ein Ticket für den nächstbesten Interkontinentalflug und landet einen Tag später in Tokyo. Ohne zu wissen, was er dort soll, und mit einer tiefen Abneigung gegen alle „Länder mit überdurchschnittlichem Teekonsum“.

Das ist die Ausgangssituation in Marion Poschmanns vierten Roman „Die Kieferninseln“, der auf der diesjährigen Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. Vier Jahre nach ihrem viel gelobten sowie mehrfach prämierten Roman „Die Sonnenposition“ stellt die 1969 in Essen geborene Lyrikerin ein weiteres Mal unter Beweis, dass sie auch in der Prosa eine virtuose Könnerin ist. Mit einem feinen Sinn für Humor und einem genauen Blick für die japanische Kultur schickt sie ihren Protagonisten auf eine Entdeckungstour, die inspiriert ist von der Pilgerreise Matsuo Bashōs, des großen Erneuerers des japanischen Haikus. Dessen Reisebeschreibungen dienen Gilbert als Anleitung für „sein Projekt der Abwendung“, dem er sich in Japan widmen will.

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Überall die Sonne

Thomas Lehr fokussiert in seinem kunstvollen Erzählpanorama „Schlafende Sonne“ einen Tag und zugleich ein ganzes Jahrhundert

Dieses Buch scheint eine Zumutung zu sein. Über 630 eng bedruckte, absatzlose Seiten voller Perspektivwechsel und assoziativer Sprünge zwischen verschiedenen Zeitebenen. Doch wenn man die ersten 30 bis 40 Seiten bewältigt hat, beginnt der Roman plötzlich einen Sog zu entwickeln – und zwar durch die Biografien, die sich allmählich in diesem dichten Textgewebe entfalten. Da ist zum einen die Lebensgeschichte der Künstlerin Milena Sonntag, die im Berlin des Jahres 2011 ihre große Ausstellung „Schlafende Sonne“ eröffnet. Diese Vernissage ist nicht nur ein besonderes Ereignis im Leben von Milena, sondern vor allem der Ausgangspunkt für alle weiteren Erzählstränge, denn in einer Art Retrospektive blickt die erfolgreiche Künstlerin zurück auf ihr Leben. Unterwegs zu der Ausstellungseröffnung, die im Morgengrauen stattfindet, ist auch Milenas Mann Jonas, ein Solarphysiker, der sein Leben der Erforschung der Sonne gewidmet hat.

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Staunen lernen, um zu leuchten

In der Weltliteratur dem Sinn des Lebens auf der Spur

Die Frage nach dem Sinn des Lebens hat die seriös betriebene Philosophie eigentlich längst in die Esoterikecke verbannt. So gesehen gehen die beiden amerikanischen Philosophen Hubert Dreyfus und Sean Dorrance Kelly ein kleines Wagnis ein, wenn sie in ihrem Werk „Alles, was leuchtet“ anhand der Literaturgeschichte der Sinnfrage nachspüren. Ausgangspunkt ihrer Suche ist der ihrer Meinung nach vorherrschende Nihilismus unserer säkularen Gegenwart. Ob Gott nun tatsächlich tot ist (wie Nietzsche seinen Zarathustra behaupten ließ) oder nicht – für ein Gros der abendländisch geprägten Zivilisation haben die traditionellen Wertesysteme längst an Bedeutung eingebüßt. Der Mensch der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts richtet sein Leben nicht nach irgendwelchen Gottesgeboten aus, sondern entscheidet eigenständig über die Richtung.

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Bezaubert in den Abgrund

In seinem Roman „Hagard“ lässt Lukas Bärfuss einen erfolgreichen Geschäftsmann virtuos in den Abgrund einer plötzlich entfachten Leidenschaft stürzen und übt dabei deutliche Kritik an dem von Pragmatismus und Technikgläubigkeit geprägten modernen Leben

Philip ist ein erfolgreicher Immobilienhändler, der mitten im Leben steht. In Zürich hat er sein Büro mit einer Sekretärin und seine Wohnung mit einer Hausangestellten, die sich auch um seinen Sohn kümmert. Philip ist elegant gekleidet, fährt einen dunkelblauen BMW und agiert mit gesundem Selbstbewusstsein. „Es war unwahrscheinlich, dass jemand wie dieser Philip sich ein anderes Schicksal wählen und sich innerhalb weniger Tage, um nicht zu sagen, Stunden, von einem soliden, gesicherten Dasein an den Rand der eigenen Vernichtung bringen würde.“

Und doch passiert genau das! Dieser Philip verfällt aus dem Nichts heraus einer fremden Frau, die er in einem Kaufhaus erblickt, während er auf einen potenziellen Geschäftspartner wartet, der einen lukrativen Deal verspricht. Als Erstes erblickt Philip bloß die Schuhe der Fremden – pflaumenblaue Ballerinas – und plötzlich ist er im Bann dieser Frau. Zuerst folgt er ihr offenbar allein aus spielerischer Neugier heraus durch die Stadt; doch diese Neugier wird nach und nach zu einer Obsession, zu einem zwanghaften Begehren, das ihm letztlich zum Verhängnis wird.

Nicht seine Absicht bestimmte das Geschehen, er brauchte keine Entscheidungen zu treffen. Das erleichterte ihn auf eine Weise. Er war da. Mehr brauchte er nicht zu tun, und er verstand, warum darin das Glück lag.“

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Brutale Spiele

In Doron Rabinovicis „Die Außerirdischen“ geht es allein um die menschlichen Abgründe und ihre Lust am Spektakel

Jetzt sind sie da, die Außerirdischen. Zumindest behaupten das die Politiker und die Medien. Öffentliche Bilder von ihnen gibt es zwar noch nicht, dennoch bricht sogleich das Chaos aus – Stromausfälle, Plünderungen, Fluchtbewegungen und Massenpanik. Doch nach einigen Tagen klingen die Tumulte ab, denn die Außerirdischen scheinen keine kriegerischen Absichten zu verfolgen. Was genau sie wollen, kann allerdings niemand beantworten, weil sie bisher keiner gesehen oder Kontakt zu ihnen gehabt hat. Also rätseln allerlei selbst ernannte Experten öffentlich über die Aliens, die Motive für ihren Besuch und ihre Ziele. Ein Forum für ihre zweifelhaften Expertisen bietet ihnen „smack.com“, ein bisher unbedeutendes Online-Gourmet-Magazin, das nun mit Talkrunden und einer boulevardesken Berichterstattung ein Millionenpublikum erreicht.

Als bekannt wird, dass die Außerirdischen um Menschenopfer auf freiwilliger Basis bitten und deshalb weltweit Spiele ausgerichtet werden sollen, in denen die „Auserwählten“ bestimmt werden, sichert sich „smack.com“ die Exklusivrechte an der Übertragung. Der Aufstieg von „smack.com“ ist auch ein Erfolg für Sol, einem der Mitbegründer des Magazins, der zugleich die Hauptfigur und der Erzähler von Doron Rabinovicis Roman „Die Außerirdischen“ ist. Sol berichtet in einer Mischung aus Skepsis und Faszination von dem Medien-Hype um die Außerirdischen und die für sie veranstalteten Spiele, während seine Frau Astrid all das von Beginn an kritisch betrachtet, damit bei ihrem Mann indes kaum Gehör findet.

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