Archiv der Kategorie: Bücher 2017

Eine liebevolle Autorin

Unsentimental berichtet Ulrike Edschmid von einer besonderen Liebe

Zwei Liebende wollen einen neuen Lebensabschnitt beginnen, indem sie zusammenziehen. Eine geräumige Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg ist bereits gefunden, muss aber noch renoviert werden. Während die Frau ihrer Arbeit wegen verreist, will der Mann im neuen Domizil eine Ecke unter der Decke ausbessern, gerät auf der Klappleiter ins Wanken und stürzt in die Tiefe. Er werde nie wieder gehen können, prognostizieren die Ärzte, doch der Mann gibt nicht auf und betritt schließlich Wochen später die neue Wohnung mithilfe von Krücken. Der Aufbruch in das neue gemeinsame Leben ist natürlich dennoch ein anderer als ursprünglich geplant. Vieles von dem, was früher selbstverständlich war, ist nicht mehr möglich – aufeinander zulaufen, sich in die Arme fallen oder miteinander tanzen. Das Gehen wird für ihn eine Herausforderung bleiben und das Fallen eine ständige Bedrohung.

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Hauptsache, die Pointen sitzen

Und so war es in diesem Jahr mit Heinz Strunk alias Jürgen Dose.

Bei der Vorstellung seines neuen Romans im Bremer Schlachthof füttert Heinz Strunk sein Publikum mit Gags und komischen Einlagen

Als Heinz Strunk im vergangenen Jahr mit seinem Roman “Der goldene Handschuh“ auf Lesetour war, konnten jene Zuhörer, die das Buch bereits gelesen hatten, Zeugen einer sonderbaren Verwandlung werden. Strunk präsentierte eine auf 90 Minuten eingedampfte und pointengeschwängerte Zusammenfassung seiner an sich düsteren True-Crime-Story über den Serienmörder Fritz Honka. Von der eigentlich einfühlsamen Milieustudie blieb in der Lese-Fassung nicht viel übrig. Offenbar hatte der Entertainer vermeiden wollen, dass die Fans seines bisher eher humoristischen Werks („Fleisch ist mein Gemüse“, Studio Braun, Fraktus) enttäuscht sein könnten. All jenen, denen „Der goldene Handschuh“ selbst in der klamaukigen Lese-Fassung noch zu harter Tobak war, versprach Strunk abschließend, dass sein nächstes Buch wieder lustiger werde.

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Schrulliger Wuselkopf

Äußerst gewitzt erzählt Anne Weber von einem modernen Taugenichts

Jemand, der bevorzugt auf seinen Händen in der Öffentlichkeit herumspaziert, seine Miete mit Muscheln bezahlen will und sich liebend gern mit Schwalben, Akazien oder Briefkästen unterhält – so jemand darf sich nicht wundern, wenn man ihn als schrägen Vogel bezeichnet. Genau solch ein schräger Vogel ist Kirio, der äußerst eigentümliche Held in Anne Webers gleichnamigen Roman, der in diesem Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Den Preis hat zwar wer anders bekommen, aber Kirio würde das ganz sicher nicht kratzen, denn Auszeichnungen sind ihm vermutlich so schnuppe wie Geld, Karriere oder Schulterklopfer des Präsidenten höchstpersönlich. Als das Staatsoberhaupt ihm die Schulter tätschelt, ist Kirio allerdings auch just mit Tischfußball beschäftigt, hat also Besseres zu tun – auch wenn er sich zu jenem Zeitpunkt gerade in der Psychiatrie aufhält. Freilich ist der Aufenthalt bloß temporär, denn so einen Wuselkopf, den hält es nirgends lange. Mal lebt er in der freien Natur in einer Höhle, mal in einer Achtquadratmeter-Dachgeschosskammer in der Stadt und dann eben eine Weile in einer staatlichen Einrichtung.

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Anekdoten-Potpourri

 

Tex Rubinowitz hat nichts zu erzählen und macht das zum Thema seines Romans

Autoren, die nichts mehr zu erzählen haben, sind arme Würstchen. Wer nichts zu erzählen hat, kann das Veröffentlichen von Büchern vergessen. Sollte man zumindest meinen. Dass man es dennoch versuchen kann, zeigt aktuell der 1961 in Hannover geborene Zeichner, Musiker und Schriftsteller Tex Rubinowitz in seinem Roman „Lass mich nicht allein mit ihr“. Bereits sein letzter Roman „Irma“ ist vielmehr ein munteres Anekdoten-Potpourri als tatsächlich Roman (zudem soll Rubinowitz angeblich einige Passagen nahezu wortgleich aus Wikipedia-Artikeln stibitzt haben). Die Kunst des Abschweifens und der Anekdotenaneinanderreihung hat der Bachmannpreisträger des Jahres 2014 nun geradezu perfektioniert. Offen gesteht er (beziehungsweise sein Icherzähler) ein, dass er mit seinem Lektor im Clinch liege, da er nichts mehr zu erzählen habe – und macht dies zum Thema seines Buches. Er berichtet von Streitgesprächen über seine Exposés, schweift in sexuelle Fantasien ab, schwadroniert über ABBA und andere Bands, streut einen Schwank aus seiner Kindheit ein und verheddert sich in teils larmoyanten Selbstreflektionen. Und dann gibt es da ja noch die Schauspielerin Anja Kruse, für die der Icherzähler eine Obsession entwickelt, weil sie quasi seinen Roman retten soll, indem er sie zur Hauptfigur seiner bisher nicht vorhandenen Geschichte machen will. Eine Schnapsidee, die natürlich zum Scheitern verurteilt ist und auch seinen Lektor nicht überzeugt.

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Junge Leute, viel Frust

Noemi Schneider, Flurin Jecker und Fatma Aydemir legen ihre literarischen Debüts vor

Inmitten der Flut an Neuerscheinungen bereits etablierter Autoren gehen Debütanten manchmal komplett unter. Diesem Schicksal wollen die 34-jährige Noemi Schneider, der 26-jährige Flurin Jecker und die 30-jährige Fatma Aydemir möglichst entgehen – alle drei müssen sich in diesem Frühjahr erstmals auf dem Buchmarkt behaupten.

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Möchtegern-Weltverbesserer

In Andreas Stichmanns zweitem Roman werkelt eine schrullige Truppe an neuen Utopien

Der Sonnenhof in Hamburg-Osdorf ist eine Art verblichener Utopie. Anfang der 80er als Kommune am Rande der Großstadt gegründet – von Ingrid, ihrem tunesischen Lebenspartner und ihren Hippie-Freunden. Mittlerweile ist von den Gründungsmitgliedern nur noch Ingrid übrig, die sich allerdings nicht mehr besonders um das Schicksal des Hofs schert. Das hat stattdessen ihr 35-jähriger Sohn Ramafelene übernommen, der als Sozialarbeiter den Laden mehr schlecht als recht am Laufen hält und sich um die beeinträchtigten Bewohner kümmert. Sein alter Kumpel Küwi ist ihm dabei kaum noch ein Hilfe, dafür neuerdings die 17-jährigen Bibi, die ihre Sozialstunden auf dem Hof ableistet und Ramafelene den Kopf verdreht.

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Im Schatten

In seinem Erzählungsband bewegt sich Clemens Meyer erneut am Rand der Gesellschaft

Als „Türsteher der neuen sozialen Literatur“ wurde der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer bezeichnet. Das liegt zum einen an den Milieus, in denen seine Geschichten spielen, und zum anderen an seinem nüchternen bis harten Ton. Ob in seinem Debüt „Als wir träumten“, seinem (2008 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse prämierten) ersten Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ oder seinem (2014 mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichneten) Roman „Im Stein“ – stets rückt Meyer Figuren ins Rampenlicht, die sonst auf der Schattenseite leben.

So gesehen bleibt sich der 39-Jährige in seinem zweiten Erzählungsband „Die stillen Trabanten“ treu. Dieses Mal sind es zwar keine Arbeitslosen, Kriminellen oder Prostituierten, denen sich Meyer zuwendet, aber es sind jene, die sich in meist schlecht bezahlten Jobs abmühen und dennoch auf keinen grünen Zweig kommen. Da ist zum Beispiel ein Wachmann, der seit vielen Jahren seine Runden um das Ausländerwohnheim dreht und an die Zeit zurückdenkt, als sich eine zarte Romanze mit einer der Bewohnerinnen zu entwickeln begann – bis sie plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden war. Oder der Imbissbudenbesitzer, der eine Freundschaft mit seinem streng muslimischen Nachbarn pflegt und sich zugleich in dessen Freundin verliebt.

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Kraftloser Held

Jonas Lüscher lässt einen Rhetorikprofessor am Neoliberalismus zweifeln

Richard Kraft grübelt. Tag für Tag versucht er eine Antwort zu finden auf die Frage, warum alles, was ist, gut ist und wir es dennoch verbessern können. Seine Antwort muss der Rhetorikprofessor in einen 18-minütigen Vortrag kleiden, mit dem es einen Internet-Mogul aus dem Silicon Valley zu überzeugen gilt, der für die genialste Antwort eine Million Dollar ausgelobt hat. Mit dem Geld, so hofft Kraft, könnte er sich befreien aus jenem Gefängnis namens Ehe. Das Problem ist nur, dass er keineswegs daran glaubt, dass alles, was ist, gut ist.

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