Schlagwort-Archive: Buchbesprechung

Flucht statt Karriere

In Olga Grjasnowas Roman “Gott ist nicht schüchtern” zerstört der Krieg die Träume eines Arztes und einer Schauspielerin und degradiert sie zu Geflüchteten

Literatur kann Schmerzen verursachen – und zwar immer dann, wenn sie Gewalt, Leid, Krieg und Tod so plastisch und eindringlich schildert, dass man die Szenen unmittelbar vor Augen zu haben glaubt. Leser, die solche Bilder nicht ertragen, sollten die Finger lassen von Olga Grjasnowas mittlerweile dritten Roman. In „Gott ist nicht schüchtern“ erzählt die 33-jährige deutsch-aserbaidschanische Autorin eine alles andere als bekömmliche Geschichte. Genaugenommen erzählt sie zwei Geschichten. Zum einen die von der jungen Schauspielerin Amal, die – noch während ihres Studiums in Damaskus – als Hauptdarstellerin einer Fernsehserie gerade kurz davor ist, so richtig durchzustarten. Zum anderen die Geschichte von Hammoudi, der vor wenigen Wochen sein Medizinstudium in Frankreich mit Auszeichnung abgeschlossen und bereits einen lukrativen Arbeitsvertrag mit einem renommierten Pariser Krankenhaus in der Tasche hat.

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Eingeordnet unter Bücher 2017

Eine liebevolle Autorin

Unsentimental berichtet Ulrike Edschmid von einer besonderen Liebe

Zwei Liebende wollen einen neuen Lebensabschnitt beginnen, indem sie zusammenziehen. Eine geräumige Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg ist bereits gefunden, muss aber noch renoviert werden. Während die Frau ihrer Arbeit wegen verreist, will der Mann im neuen Domizil eine Ecke unter der Decke ausbessern, gerät auf der Klappleiter ins Wanken und stürzt in die Tiefe. Er werde nie wieder gehen können, prognostizieren die Ärzte, doch der Mann gibt nicht auf und betritt schließlich Wochen später die neue Wohnung mithilfe von Krücken. Der Aufbruch in das neue gemeinsame Leben ist natürlich dennoch ein anderer als ursprünglich geplant. Vieles von dem, was früher selbstverständlich war, ist nicht mehr möglich – aufeinander zulaufen, sich in die Arme fallen oder miteinander tanzen. Das Gehen wird für ihn eine Herausforderung bleiben und das Fallen eine ständige Bedrohung.

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Eingeordnet unter Bücher 2017

Hauptsache, die Pointen sitzen

Und so war es in diesem Jahr mit Heinz Strunk alias Jürgen Dose.

Bei der Vorstellung seines neuen Romans im Bremer Schlachthof füttert Heinz Strunk sein Publikum mit Gags und komischen Einlagen

Als Heinz Strunk im vergangenen Jahr mit seinem Roman “Der goldene Handschuh“ auf Lesetour war, konnten jene Zuhörer, die das Buch bereits gelesen hatten, Zeugen einer sonderbaren Verwandlung werden. Strunk präsentierte eine auf 90 Minuten eingedampfte und pointengeschwängerte Zusammenfassung seiner an sich düsteren True-Crime-Story über den Serienmörder Fritz Honka. Von der eigentlich einfühlsamen Milieustudie blieb in der Lese-Fassung nicht viel übrig. Offenbar hatte der Entertainer vermeiden wollen, dass die Fans seines bisher eher humoristischen Werks („Fleisch ist mein Gemüse“, Studio Braun, Fraktus) enttäuscht sein könnten. All jenen, denen „Der goldene Handschuh“ selbst in der klamaukigen Lese-Fassung noch zu harter Tobak war, versprach Strunk abschließend, dass sein nächstes Buch wieder lustiger werde.

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Eingeordnet unter Bücher 2017, Bremen

Die Strunk-Show

Heinz Strunk ist wieder auf Lesereise. Sicherlich ein Erlebnis, wenn auch manchmal ein recht fragwürdiges – so wie im vergangenen Jahr, als er seinen eigentlich beeindruckenden Roman „Der goldene Handschuh“ in einer Ulk-Performance verhunzt hat.

Verwandlung eines Romans

Hey, Fleisch ist mein Gemüse“, so habe ihn vor Kurzem irgendein Fremder in der Kneipe angequatscht. Ohne Begrüßung oder Anrede habe der ihm einfach nur den Titel seines Erfolgsromans an den Kopf geworfen, erzählt Heinz Strunk zu Beginn seines Auftritts im Bremer Schlachthof. Ihm selbst behagt das nicht, auf ein Buch reduziert zu werden, dessen Veröffentlichung bereits zwölf Jahre zurückliegt. Allerdings war sein stark autobiografisch gefärbtes Debüt ein Besteller, der sich eine halbe Million Mal verkauft hat und 2008 verfilmt wurde. Dieses Buch ist der Ausgangspunkt für die Erfolge des Musikers, Entertainers und Schriftsellers, der mit bürgerlichem Namen Mathias Halfpape heißt. Mittlerweile kennen ihn viele auch durch seine Auftritte bei Extra 3, die Telefonstreiche mit Studio Braun oder aus der Fake-Dokumentation „Fraktus“.

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Eingeordnet unter Bücher 2016

Schrulliger Wuselkopf

Äußerst gewitzt erzählt Anne Weber von einem modernen Taugenichts

Jemand, der bevorzugt auf seinen Händen in der Öffentlichkeit herumspaziert, seine Miete mit Muscheln bezahlen will und sich liebend gern mit Schwalben, Akazien oder Briefkästen unterhält – so jemand darf sich nicht wundern, wenn man ihn als schrägen Vogel bezeichnet. Genau solch ein schräger Vogel ist Kirio, der äußerst eigentümliche Held in Anne Webers gleichnamigen Roman, der in diesem Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Den Preis hat zwar wer anders bekommen, aber Kirio würde das ganz sicher nicht kratzen, denn Auszeichnungen sind ihm vermutlich so schnuppe wie Geld, Karriere oder Schulterklopfer des Präsidenten höchstpersönlich. Als das Staatsoberhaupt ihm die Schulter tätschelt, ist Kirio allerdings auch just mit Tischfußball beschäftigt, hat also Besseres zu tun – auch wenn er sich zu jenem Zeitpunkt gerade in der Psychiatrie aufhält. Freilich ist der Aufenthalt bloß temporär, denn so einen Wuselkopf, den hält es nirgends lange. Mal lebt er in der freien Natur in einer Höhle, mal in einer Achtquadratmeter-Dachgeschosskammer in der Stadt und dann eben eine Weile in einer staatlichen Einrichtung.

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Illegale Lebenszeichen

Der deutsch-irakische Autor Abbas Khider schickt in seinem Episodenroman „Brief in die Auberginenrepublik“ eine geheime Botschaft durch die arabische Welt des Jahres 1999.

Mit dem Arabischen Frühling blühte die Hoffnung auf, die arabische Welt könnte ihre Despoten abschütteln und sich Richtung Demokratie bewegen. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, der eine oder andere Diktator wurde zwar aus seinem Palast gejagt, doch statt Demokratie folgte Instabilität: Tunesien ringt um eine Verfassung, Libyen kämpft mit Milizen, in Ägypten herrscht das Militär und in Syrien wehrt sich Assad mit allen ihm zur Verfügung stehenden Waffen gegen den drohenden Machtverlust. Ob ihn ein ähnliches Schicksal ereilen wird wie Ben Ali, Gaddafi, Mubarak oder Saddam Hussein, wird sich noch zeigen.

Von einer Zeit, in der diese Tyrannen noch sicher im Sattel sitzen, erzählt der deutsch-irakische Autor Abbas Khider in seinem Roman „Brief in die Auberginenrepublik“. Der Titel des Buches bezieht sich auf den Spottnamen, der Ende der 90er Jahre im Irak die Runde macht. Zu dieser Zeit ächzt das Land unter dem verhängten Handelsembargo. Wie so oft leidet vor allem die einfache Bevölkerung – Essbares ist rar, allein Auberginen gibt es en masse. Die Ehefrauen bemühen sich daher, aus dieser Eierfrucht diverse Gerichte zu kreieren: „Auberginen-Bällchen, Auberginen-Suppe, Auberginen gekocht, gegrillt oder gebraten.“

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Eingeordnet unter ältere Bücher

Himmel oder Hölle

Zwischen einem Wunder und Dante bewegt sich Sibylle Lewitscharoffs Roman

Was soll man von einem Literaturwissenschaftler halten, der behauptet, alle seine Kollegen seien während eines Kongresses zum Himmel aufgefahren? Vermutlich hielte man ihn für verrückt – auch er selbst schwankt hin und her, ob er die Himmelfahrt tatsächlich miterlebt hat oder nicht doch übergeschnappt ist. Und so sitzt Professor Gottlieb Elsheimer nun in seiner Frankfurter Wohnung und rekapituliert in einem inneren Monolog die Ereignisse jenes Mai 2013. An diesem Pfingstwochenende hat sich der Dante-Experte mit anderen internationalen Größen seiner Zunft im Saal der Villa Malta auf dem Römer Aventin versammelt, um sich ausgiebig Dantes „Göttlicher Komödie“ zu widmen.

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Eingeordnet unter Bücher 2016

Junge Leute, viel Frust

Noemi Schneider, Flurin Jecker und Fatma Aydemir legen ihre literarischen Debüts vor

Inmitten der Flut an Neuerscheinungen bereits etablierter Autoren gehen Debütanten manchmal komplett unter. Diesem Schicksal wollen die 34-jährige Noemi Schneider, der 26-jährige Flurin Jecker und die 30-jährige Fatma Aydemir möglichst entgehen – alle drei müssen sich in diesem Frühjahr erstmals auf dem Buchmarkt behaupten.

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Eingeordnet unter Bücher 2017

Möchtegern-Weltverbesserer

In Andreas Stichmanns zweitem Roman werkelt eine schrullige Truppe an neuen Utopien

Der Sonnenhof in Hamburg-Osdorf ist eine Art verblichener Utopie. Anfang der 80er als Kommune am Rande der Großstadt gegründet – von Ingrid, ihrem tunesischen Lebenspartner und ihren Hippie-Freunden. Mittlerweile ist von den Gründungsmitgliedern nur noch Ingrid übrig, die sich allerdings nicht mehr besonders um das Schicksal des Hofs schert. Das hat stattdessen ihr 35-jähriger Sohn Ramafelene übernommen, der als Sozialarbeiter den Laden mehr schlecht als recht am Laufen hält und sich um die beeinträchtigten Bewohner kümmert. Sein alter Kumpel Küwi ist ihm dabei kaum noch ein Hilfe, dafür neuerdings die 17-jährigen Bibi, die ihre Sozialstunden auf dem Hof ableistet und Ramafelene den Kopf verdreht.

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Im Schatten

In seinem Erzählungsband bewegt sich Clemens Meyer erneut am Rand der Gesellschaft

Als „Türsteher der neuen sozialen Literatur“ wurde der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer bezeichnet. Das liegt zum einen an den Milieus, in denen seine Geschichten spielen, und zum anderen an seinem nüchternen bis harten Ton. Ob in seinem Debüt „Als wir träumten“, seinem (2008 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse prämierten) ersten Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ oder seinem (2014 mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichneten) Roman „Im Stein“ – stets rückt Meyer Figuren ins Rampenlicht, die sonst auf der Schattenseite leben.

So gesehen bleibt sich der 39-Jährige in seinem zweiten Erzählungsband „Die stillen Trabanten“ treu. Dieses Mal sind es zwar keine Arbeitslosen, Kriminellen oder Prostituierten, denen sich Meyer zuwendet, aber es sind jene, die sich in meist schlecht bezahlten Jobs abmühen und dennoch auf keinen grünen Zweig kommen. Da ist zum Beispiel ein Wachmann, der seit vielen Jahren seine Runden um das Ausländerwohnheim dreht und an die Zeit zurückdenkt, als sich eine zarte Romanze mit einer der Bewohnerinnen zu entwickeln begann – bis sie plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden war. Oder der Imbissbudenbesitzer, der eine Freundschaft mit seinem streng muslimischen Nachbarn pflegt und sich zugleich in dessen Freundin verliebt.

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